
Hubert Kolling (Hrsg.)
Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte
„Who was who in nursing history“ Bd. 11
hpsmedia Verlag, Hungen, 2025, 328 Seiten, 34,80 €, ISBN 978-3-947665-06-8
Die Würdigung der eigenen beruflichen Leistungen durch prosopographische Lexika war für die Ärzteschaft schon seit dem 19. Jahrhundert eine Selbstverständlichkeit, die ihrem ausgeprägten Standesbewusstsein entsprach. Die Pflege folgte, zumindest in Deutschland, mit einiger Verspätung erst 1997. In diesem Jahr gab der Pflegepädagoge und -historiker Horst-Peter Wolff (1934-2017) den ersten Band des Biographischen Lexikons zu Pflegegeschichte heraus. Damit legte er den Grundstein für eine Erfolgsgeschichte, die bis heute anhält. Zu Beginn dieses Jahres erschien der 11. Band der Reihe, die seit Band vier von Hubert Kolling verantwortet wird, der aber an den Vorgängerbänden bereits mitgewirkt hat. Sie leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur Herausbildung eines eigenen professionellen Berufsbewusstseins der Pflegenden, deren Leistungen nicht hinter denen der Ärzte zurückstehen. Gerade in der heutigen Zeit der intensiven Diskussionen um berufspolitische Vertretungen, wie beispielsweise in Pflegekammern, ist ein historischer Rückblick auf die Protagonisten der Berufsverbände und die Pioniere der Pflegewissenschaft unerlässlich. Nur so lassen sich Phänomene, wie der Frauenüberschuss in der Pflege, die mühsame Emanzipation von der Bevormundung durch Mediziner und die in Deutschland verspätet einsetzende Akademisierung der Pflege verstehen. Auch der aktuelle Pflegenotstand entpuppt sich im Rückblick als ein relativ altes Phänomen, dem schon Generationen von Verantwortlichen in der Pflege mit den verschiedensten Mitteln entgegenzuwirken versucht haben. Vertreterinnen und Vertreter all dieser Entwicklungen werden im Biographischen Lexikon zur Pflegegeschichte in Kurzbiographien vorgestellt, wobei immer wieder die Vielzahl von zu würdigenden Personen verblüfft. „In jedem Fall zeigen die darin vorgestellten Biogramme, dass von wesentlich mehr Menschen Initiativen, Wissensvermittlung und autonome Leistungen für die Pflege ausgingen, als dies bisher von der historischen Pflegewissenschaft wahrgenommen wurde beziehungsweise allgemein bekannt ist“, schreibt der Herausgeber im Vorwort¹. Insgesamt umfassen die elf Bände des Lexikons jetzt über 1500 pflegehistorisch relevante Personen, allein im vorliegenden Band werden 66 Männer und Frauen gewürdigt, die in der Pflege und deren Weiterentwicklung eine Rolle gespielt haben.
Der aktuelle Band ist der kürzlich verstorbenen Krankenschwester und Pflegewissenschaftlerin Dr. Ruth Schröck (1931-2023) gewidmet, einer Pionierin der Psychiatriepflege, der Entwicklung der Pflegewissenschaft und der Akademisierung der Pflegeausbildung. Weitere hier vertretene Zeitgenossinnen sind Elisabeth Derup (1937-2023), die Mitbegründerin des „Deutschen Vereins für Pflegewissenschaft“ (seit 2005 „Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft“), Naomi Gisela Feil (1932-2023), eine deutsch-amerikanische Gerontologin, die Maßgebliches zur Verbesserung der Betreuung von Alzheimer-Patienten beigetragen hat sowie Anneliese Fricke (1923-2014), die u. a. als Oberin und Schriftleiterin der Verbandszeitschrift „Die Agnes-Karll-Schwester“ (ab 1972 „Krankenpflege“) berufspolitisch engagiert war. Indem sich die Würdigung nicht nur auf historische, sondern auch auf zeitgenössische Personen erstreckt, wird das Lexikon somit auch zu einer Chronik der Entwicklung der Pflegewissenschaften, die ihre volle Wirkung erst in einigen Jahrzehnten entfalten wird.
Die Autorin setzt das Lexikon schon lange erfolgreich in der akademischen Lehre ein, denn jede angehende Pflegefachfrau und jeder angehende Pflegefachmann sollte Namen wie Theodor Fliedner, Florence Nightingale oder Agnes Karll kennen und mit diesen Namen auch konkrete historische Entwicklungen verbinden. Gerade junge Menschen prägen sich historische Ereignisse besser ein, wenn sie mit einer greifbaren Person verbunden werden können.
Auch fachfremde Leser werden das Lexikon, das in erster Linie ein Nachschlagewerk, aber auch ein „Lesebuch“ ist, mit Gewinn zur Hand nehmen. Pierre Pfütsch schrieb unlängst: „Galten biographische Zugänge in den letzten 30 Jahren eher als dröge und veraltet, erfreuen sie sich seit einiger Zeit wieder größerer Beliebtheit, was wohl nicht zuletzt auch an dem wachsenden Geschichtsinteresse des Laienpublikums liegt. Beliebte Publikationsanlässe für Biographien sind Jubiläen, Jahrestage oder Aktualitätsbezüge.“²
Auch wenn schon zahlreiche Persönlichkeiten der Pflegegeschichte gewürdigt wurden, besteht noch weiterer Forschungsbedarf. So ist der Reihe eine Fortsetzung, vielleicht auch in digitaler Form, sehr zu wünschen. Dem Herausgeber gebührt ein besonderer Dank für seine ehrenamtliche, ohne institutionelle Unterstützung geleistete Arbeit.
Eine Rezension von Annett Büttner
1 ubert Kolling: Vorwort des Herausgebers, in: Hubert Kolling (Hrsg.): Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte, Bd. 11, Hungen 2025, S. 9.
2 ierre Pfütsch, Pflegegeschichte: Zur Etablierung eines neuen Forschungsfeldes seit den 1980er-Jahren, in: H-Soz-Kult, 15.01.2025, https://www.hsozkult.de/literaturereview/id/fdl-136871 27.02.2025].
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