
Barbara Bojack
Ärztinnenbuch
Pionierinnen der Medizin
Biographien von Ärztinnen im 20. und 21. Jahrhundert
Lehmanns Media Verlag, Berlin, 2024, Broschur, 205 Seiten, 16,95 €, ISBN: 978-3-96543-502-5
Unter denjenigen, die heute ein Medizinstudium beginnen, ist der Anteil an Frauen höher als der von Männern. Dies ist relativ neu, war Frauen doch über lange Zeit der Zugang zum Studium generell verwehrt. Als sie dann schließlich doch Medizin studieren durften, war es häufig ein steiniger Weg bis zu ihrem Einstieg ins Berufsleben. Was einzelne „Pionierinnen der Medizin“ – ab dem 20. Jahrhundert bis heute – erlebt haben, wie ihr beruflicher und privater Lebensweg aussah, möchte das vorliegende Buch auf Basis von Interviews mit Ärztinnen nachzeichnen.
Verfasst wurde das Buch von Barbara Bojack, die nach dem Studium der Medizin in Tübingen dort auch 1985 mit einer Arbeit über „Die Ureterozele im Kindesalter“ zum Dr. med. promovierte und 1993 Fachärztin für Urologie wurde. Nach Tätigkeit in Kliniken, im öffentlichen Gesundheitswesen und im Strafvollzug arbeitet sie seit 1997 in eigener Praxis als Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin in der hessischen Universitätsstadt Gießen, wobei sie „das Wohl ihrer Patienten in den Mittelpunkt des Handelns“
(http://www.psychotherapie-bojack.de) stellt.
Die Autorin, die seit 2002 auch eine Lehrtätigkeit an der Universität Eichstätt im Bereich Sozialmedizin und seit 2008 als Honorarprofessorin an der Universidad Buenos Aires (medizinische Fakultät) wahrnimmt, ist seit 2015 in der Soziologie habilitiert. Ihr Forschungsschwerpunkt, zu dem sie zahlreiche Buch- und Zeitschriftenbeiträge veröffentlichte (http://www.psychotherapie-bojack.de/index.php/publikationen), ist Gewalt in verschiedenen Bereichen.
Der schmale Band gliedert sich in fünf Kapitel. Im Anschluss an eine „Historische Einführung“ (S. 7-11), „Konzept und Überlegungen zu den Interviews“ (S. 13-15) sowie Hinweise zum „Forschungsstand“ (S. 17-18) und „Umsetzung“ (S. 19-20), folgen 13 „Lebensgeschichten“ (S. 21-185) und ein „Schlusswort“ (S. 187-189). Ergänzt wird die Darstellung durch einen „Anhang“ (S. 191-204) mit kurzen Ausführungen, etwa zur Methodik, Interviewführung und Transkription.
Die historische Einführung zur Entwicklung der Beteiligung von Frauen am Studium und im Beruf als Ärztin sowie das vorgestellte Konzept zu den Interviews fallen mit knapp vier und zwei Seiten nicht nur sehr bescheiden aus, sondern beruhen größtenteils auch auf veralteten Daten. Nicht zuletzt zur Einordnung der präsentierten Lebensgeschichten hätte man sich hier sowohl ausführlichere als auch aktuelle Informationen gewünscht. So waren beispielsweise im Wintersemester 2021/2022 in Deutschland insgesamt 105.275 Studierende im Fach Humanmedizin eingeschrieben, von denen etwa zwei Drittel (67.149) der Studienanfänger:innen Frauen waren. Zum Vergleich: Im Jahr 2008/2009 war nur knapp die Hälfte (48.644) der neuen Studierenden weiblich. Nach Angaben der Bundesärztekammer ist auch der Anteil der Ärztinnen an der Gesamtzahl der berufstätigen Ärzt:innen 2021 weiter angestiegen und zwar auf 48,5 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr 1991 betrug der Frauenanteil unter den berufstätigen Ärzt:innen noch 33,6 Prozent, also nur rund ein Drittel.
Auch den Forschungsstand zu Biographien von Ärzt:innen legt Barbara Bojack mit gut einer Seite wiederum sehr bescheiden dar. Es gäbe zwar „diverse Zusammenstellungen von weiblichen Lebensläufen“, ein großer Teil sei aber unveröffentlicht und ruhe in – von der Autorin leider nicht namentlich genannten – Archiven. Von daher sei es notwendig, „weibliche Biografien in der Medizin zu erheben und sie dann auszuwerten. Hier könnten Hinweise enthalten sein, wie es dazu kommt, dass Frauen in diesem Berufsbereich zwar vertreten sind, jedoch nicht in höheren Positionen“ (S. 18).
Bei ihren Hinweisen zur Interviewführung und Transkription stellt Barbara Bojack fest, dass die Darstellung der Interviews „intensiv und aufschlussreich“ sei, weshalb „auf die Analyse verzichtet“ werde; diese könnten aber jederzeit angeschlossen werden unter Zuhilfenahme des Gesamtinterviews. Die anschließend vorgestellten Transkripte der Interviews seien chronologisch angeordnet: „Dadurch entsteht eine Sicht auf Lebensläufe von Ärztinnen im Zeitverlauf und die veränderten Situationen, denen sie sich anzupassen und zu stellen hatten und haben“ (S. 20).
Im Schlusswort macht die Autorin darauf aufmerksam, dass es sich bei den Frauen, mit denen sie die Interviews führte, „um eine besondere Selektion“ handelt: „Alle Kolleginnen sind besonders engagiert, haben ihren Beruf als Berufung gewählt, sind ihren individuellen Weg gegangen. Sie sind humorvoll und zuversichtlich, nahmen auch Umwege in Kauf. Sie alle bekleiden verschiedene Rollen und wurden diesen gerecht“ (S. 187).
Aufgrund des Forschungsstands hat die Forderung von Barbara Bojack nach Erhebung und Auswertung von weiblichen Biografien in der Medizin sicherlich ihre Berechtigung. Es stellt sich natürlich die Frage, warum sie nicht die Gelegenheit ergriffen und im Rahmen ihres Buchprojekts die Aufgabe gelöst hat. So stellt die Autorin zwar einige Fragestellungen zur Auswertung der Interviews vor, beantwortet diese aber nicht. Zudem zeigt die Veröffentlichung eine Reihe methodischer Mängel, indem nirgends Kriterien zur Auswahl der interviewten Personen, zum Ziel der Erhebung, zum Ort und Zeit der Interviews bis hin zur „Überarbeitung“ (S. 205), die die erhobenen Daten durch den Physik- und Biologielehrer Joachim Mietusch erfahren haben, benannt werden. Warum die Namen aller Interviewten, die heute scheinbar in Hessen beziehungsweise dem Großraum Gießen zu Hause sind, anonymisiert wurden, bleibt ebenfalls unklar. Bei einigen von ihnen, das sei nebenbei bemerkt, ist es übrigens aufgrund bestimmter Angaben ein leichtes, den Namen mit Hilfe diverser Such-Maschinen in Erfahrung zu bringen. Schließlich ist zu beanstanden, dass das Buch zwar ein Literaturverzeichnis enthält, sich dort aber lediglich 17 „Anmerkungen“ finden, während die in Harvard-Zitierweise (Kurzbeleg mit Angabe von Namen und Jahreszahl) benutzte „Literatur“ nicht verzeichnet ist.
Sieht man hiervon einmal ab, sind die einzelnen Lebensgeschichten durchaus spannend, interessant und lesenswert, auch wenn es hierzu keine systematische Analyse und Auswertung gibt. Unterdessen dürften die darin immer wieder zu findenden Aussagen zur Benachteiligung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts, auch wenn in den präsentierten Texten zuweilen ein anderer Eindruck erweckt wird, nicht nur ein Problem von Medizinstudentinnen und Ärztinnen gewesen sein. Eine Beurteilung der Situation unter heutigen Gesichtspunkten ohne Berücksichtigung der zeitgenössischen Verhältnisse muss zwangsläufig zu kurz fassen und zu anderen Ergebnissen führen.
Wer also ein Buch mit Lebensgeschichten von Ärztinnen im 20. und 21. Jahrhundert lesen möchte, wird an dem „Ärztinnenbuch“ beziehungsweise den „Pionierinnen der Medizin“ seine Freude haben. Wer die Veröffentlichung jedoch in der Hoffnung zur Hand nimmt, eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema zu lesen, wird eher enttäuscht sein.
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