Alfred Holzgreve, Gebhard von Cossel (Hrsg.)
Geschichte der Berliner Krankenhäuser
Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Berlin 2017, 200 Seiten, Hardcover, 49,95 Euro. ISBN 978-3-95466-276-0
Den Berlinern Krankenhäuser, die als Teil der Gesundheitswirtschaft zu den größten Arbeitgebern der Region zählen, kommt in der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung Berlins und des Umlandes eine sehr wichtige Rolle zu. Sie bieten rund um die Uhr nicht nur ein vollständiges Leistungsspektrum von der regionalisierten Basisversorgung bis hin zur medizinisch-technischen Spezial- und Hochleistungsmedizin, sondern gestalten auch den medizinischen und pflegerischen Fortschritt mit.
Die heutige Situation ist dabei das Ergebnis einer mehrhundertjährigen Geschichte, in der es immer wieder historische Brüche gab: von den Anfängen, über eine wachsende Stadt, bis hin zur geteilten Stadt und der Wiedervereinigung von Ost- und Westberlin. All diese verschiedenen Zeitspannen spiegelt das vorliegende Buch über die Berliner Krankenhäuser wider, die auf eine eindrucksvolle Geschichte zurückblicken können.
Für die Herausgabe des Sammelbandes, der 18 Beiträge von 22 Autorinnen und Autoren vereint, zeichnen sich Prof. Dr. med. Dr. phil. Alfred Holzgreve (Vivantes – Netzwerk für Gesundheit GmbH, Direktor Forschung und Lehre) und Dr. med. Gebhard von Cossel (MBA, Sana Kliniken AG, Leiter Unternehmensstrategie Medizin) verantwortlich. Das Werk, in dem alle relevanten Träger der Berliner Krankenhäuser zu Wort kommen, geht auf eine gemeinsame Veranstaltung der Berliner Krankenhausgesellschaft und der Berliner Krankenhausträger im Jahre 2010 zurück. Es enthält die dort gehaltenen Vorträge, die durch weitere Beiträge ergänzt wurden.
Brit Ismer, der Vorsitzende der Berliner Krankenhausgesellschaft, hat zu der Veröffentlichung ein Geleitwort beigesteuert, in dem er unter anderem zu deren Bedeutung und Intention festhält: „Dieses Buch zeigt auf sehr interessante und auch überraschende Weise Ausschnitte aus der wechselvollen Geschichte der Berliner Kliniken und mit welchen Herausforderungen sie zu allen Zeiten konfrontiert waren. Ihre Geschichte ist sehr vielfältig, oft geprägt von herausragenden Erfolgen, großen Wissenschaftlern und vorbildlichen Strukturen, aber auch von Zeiten, die zum Teil unmenschlich waren und heute nicht mehr vorstellbar sind“ (S. VII).
Insgesamt betrachtet gewährt das mit zeithistorischen Fotos und Dokumenten reich bebilderte Buch eine Vielzahl von Einblicken in die mehr als drei Jahrhunderte umfassende Krankenhausgeschichte Berlins. Demnach haben die Berliner Krankenhäuser zum großen Teil eine sehr lange und ruhmreiche Geschichte und spiegeln auch in den heutigen Strukturen oft noch sehr anschaulich die historischen Entwicklungen der Krankenhauslandschaft, aber auch der gesamten Stadt beziehungsweise des Landes Berlin über viele Jahrzehnte und Jahrhunderte wider. Eine ganz besondere Herausforderung bestand dabei nach dem Fall der Mauer 1989, als zwei sehr unterschiedliche Gesundheitssysteme ohne Planung und Kompatibilität aufeinandertrafen. Neben Überblicksdarstellungen wie „Die Entwicklung Berlins zu Großberlin: Expansion der Medizin in die Gesellschaft – Vergesellschaftung der Medizin“ (S. 1-7) von Prof. Dr. Thomas Beddies und institutionsgeschichtlichen Beiträgen wie „Vom Pesthaus zum Universitätskrankenhaus – Die Berliner Charité im historischen Überblick“ (S. 143-150) von Prof. Dr. Thomas Schnalke stehen eine Reihe von Arbeiten zu unterschiedlichen Themen, darunter beispielsweise von Dr. Bernd Köppl „Sektorenübergreifende Kooperation durch Polikliniken / MVZ“ (S. 61-69), Prof. Dr. med. Volker Hesse „Entwicklung der Säuglings- und Kindermedizin in Berlin“ (S. 39- 48), von Rolf Dieter Müller „Krankenversicherungssysteme in Berlin – Entwicklung der Krankenkassen am Beispiel der AOK Berlin“ (S. 71- 83), von Dr. Ellis Huber „Soziale Gesundheitswirtschaft – Medizin und Heilkultur im Wandel der Zeit“ (S. 129-135), von Dr. Andrea Grebe und Kristina Tschenett „Vivantes – Die Entstehung des größten kommunalen Krankenhauskonzerns in Deutschland“ (S. 137-142) sowie Susanne Hansch und Barbara Lay „HELIOS – Ein bundesweit tätiges Gesundheitsunternehmen mit zwei Kliniken in Berlin“ (S. 151-162).
Positiv hervorzuheben ist, dass sich zwei Beiträge – namentlich die von Dr. Hermann Simon „Die Geschichte des Jüdischen Krankenhauses Berlin unter besonderer Berücksichtigung der Zeit von 1933 bis 1945 (S. 49-53) und Dr. phil. Petra Fuchs „Zwangssterilisation und ‚Euthanasie‘ m Nationalsozialismus am Beispiel einer Lebensgeschichte“ (S. 55-60) – auch speziell das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte ab 1933 thematisieren, von dem auch der Krankenhausbereich nicht verschont blieb.
Wenngleich in Kliniken beziehungsweise Krankenhäusern eine Vielzahl ganz verschiedener Berufsgruppen arbeiten, wobei neben den Ärzten bekanntlich das Krankenpflegepersonal die bei weitem größte Gruppe ausmacht, konzentriert sich die vorliegende Darstellung nahezu ausschließlich auf die Medizingeschichte beziehungsweise deren Protagonisten, während entsprechende Informationen zur Pflegegeschichte – und dies gilt auch für die Bildauswahl, wo es neben einer Vielzahl von Fotos mit Vertretern der Ärzteschaft gerade mal ein Foto mit zwei Krankenschwestern (S. 156) gibt – äußerst schwach ausgeprägt sind. Selbst in dem Beitrag „Die DRK Kliniken Berlin – Modern aus Tradition“ (S. 171-178), den Doreen Fuhr, die Oberin der DRK-Schwesternschaft Berlin e.V., verfasste, wird die Pflege beziehungsweise das Pflegepersonal lediglich ganz am Rande gestreift. Hier hätte man sich gewünscht, dass bei der Bearbeitung der Themen beziehungsweise der Auswahl der Autorenschaft auch Pflegehistoriker*innen zu Wort gekommen wären.
Immerhin kann hier als löbliche Ausnahme – und zwar in Wort und Bild – der Beitrag von Prof. Dr. med. Helmut H. Knispel und Sylvia Thomas-Mundt „Das 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg – Gründungsgeschichte am Beispiel des St. Hedwig-Krankenhauses“ (S. 9-19) genannt werden, der in seiner Darstellung gleichermaßen sowohl medizin- als auch pflegehistorische Gesichtspunkte berücksichtigt. So erfährt die Leserschaft etwa, dass am 14. September 1846 – der Tag gilt seither als Gründungstag für das St. Hedwig-Krankenhaus – die ersten vier Ordensschwestern vom Orden des heiligen Karl Borromäus aus dem Mutterhaus Nancy in Berlin eintrafen, um die Leitung und Pflege des neuen Krankenhauses zu übernehmen. Die in diesem Zusammenhang erwähnte Xaveria Rudler [1811-1886], die erste Oberin des neuen Krankenhauses, ist in dem Buch zugleich eine der ganz wenigen Ausnahmen, in denen eine Krankenschwester namentlich genannt wird. Unter pflegehistorischen Gesichtspunkten sind hier auch die weiteren Ausführungen lesenswert, wenn es – um nur ein Beispiel zu geben – über die Eröffnung der Krankenpflegeschule am 1. Oktober 1907 und deren Betrieb heißt: „Die Ausbildung dauerte ein Jahr. Der Unterricht wurde bis 1963 in den Mittagsstunden zwischen den Stationsdiensten erteilt. Die Ausbildung schloss nach erfolgter Prüfung mit der Ausstellung eines ‚Ausweises über die Erlaubnis zur berufsmäßigen Ausübung der Krankenpflege‘ ab. Pro Kurs wurden 15 Schülerinnen aufgenommen. Alle Schülerinnen wohnten im Krankenhaus“ (S. 13).
Wer das Buch zur Hand nimmt, sollte sich vom Titel nicht täuschen lassen. Wesentlich treffender als „Geschichte der Berliner Krankenhäuser“ wäre allemal „Beiträge zur Geschichte der Berliner Krankenäuser“ gewesen.
Eine Rezension von Dr. Hubert Kolling