Germanische Provinz des Hospitalordens des Hl. Johannes von Gott bis 1780 – Teil 1

51Yo4HOwwhLPetr Jelínek (Hrsg.)
Germanische Provinz des Hospitalordens des Hl. Johannes von Gott bis 1780 – Teil 1

Konvent der Barmherzigen Brüder in Teschen, 1. gebundene Auflage, 179,90 Euro, Cieszyn 2018

Hospitalorden der Frühen Neuzeit haben bisher wenig Beachtung gefunden. Licht in dieses noch dunkle Kapitel bringt nun ein Buch, das sich mit der Geschichte der Barmherzigen Brüder beschäftigt. Der 1586/1611 gegründete Orden der Barmherzigen Brüder errichtete eine seiner Provinzen 1659 im Heiligen Römischen Reich. Sie wurde als deutsche bzw. als germanische Provinz bezeichnet und stand unter dem Schutz des Heiligen Erzengel Michael. Später erstreckte sie sich noch auf Ungarn. 1781 zerfiel die Provinz in die österreich-ungarische und die sog. deutsche Provinz. Zu letzterer gehörten die Konvente in Breslau, Bruchsal, Deidesheim, Mannheim, München, Münster, Neuburg und Neustadt. Der hier vorgestellte Band behandelt den Zeitraum von der Gründung der germanischen Provinz im Jahr 1659 bis zur ihrer Auflösung im Jahr 1781. Das Buch gliedert sich in zwei Teile, nämlich in einen Allgemeinen Teil, der Informationen zur Organisation des Ordens und seiner Konvente enthält, und in einen speziellen Teil, der sich der Geschichte der einzelnen böhmischen Klöster (nämlich der Geschichte des Klosters der Heiligen Simon und Juda in der Prager Altstadt, des Klosters Neustadt an der Mettau, des Klosters Kukus und des Klosters der Heiligen Familie in der Prager Neustadt) widmet. Der Herausgeber plant noch drei weitere Bände, in denen die Wirkungsstätten des Ordens in Mähren und Schlesien, in Ungarn und in den österreichischen Erbländern sowie in den Teilstaaten des Heiligen Römischen Reichs und in Triest und Görz vorgestellt werden.

Einleitend wird im ersten Band die bereits erforschte Gründungsgeschichte des Ordens vorgestellt. Ein weiteres Kapitel bemüht sich um die Darstellung der Kommunikation zwischen der Generalkurie des Ordens in Rom und der germanischen Provinz. Dies ist aufgrund der schlechten Quellenlage, wie der Beitrag aufzeigt, ein schwieriges Unterfangen und fördert nur einige wenige Aspekte zutage, etwa das Bemühen einiger Brüder aus dem Orden auszutreten. Eine weitere Abhandlung beschäftigt sich mit den Apotheken des Ordens. Grundsätzlich verfügte jedes Kloster über eine eigene Apotheke. Sie wurde von einem Apotheker, der Mitglied des Ordens war, geleitet. Seine Ausbildung, die mit einer Prüfung abgeschlossen wurde, hatte er entweder bei einem weltlichen Apotheker oder bei einem Apotheker des Ordens absolviert. Unterschiedlich war die Regelung, ob die Medikamente nur für die eigenen Kranken oder auch für den Verkauf bestimmt waren. Wie in dem Band dargelegt wird, besaßen die Konvente auch einen umfangreichen Buchbestand, der sich allerdings mit dem der kontemplativen Orden nicht messen konnte. In der Regel gab es in den Klöstern der Barmherzigen Brüder eine Konvent-, eine Apotheken- und eine „Krankenhausbibliothek“. Im Gegensatz zu anderen Orden war den Hospitalbrüdern auch privater Buchbesitz gestattet. Zugleich waren die Konvente, wie ausgeführt wird, Zentren eines regen Musiklebens. Es haben sich bedeutende Musiksammlungen erhalten. Mitunter handelte es sich bei den Ordensmitgliedern um hochbegabte Musiker. Die Musik nahm einen so hohen Stellenwert im Leben der Klosterbrüder ein, dass sogar Musiker gegen Entgelt bestellt wurden. 

Am Beispiel der ungarischen Konvente wird dargelegt, dass auch die Barmherzigen Brüder mit den Idealen der Aufklärung konfrontiert wurden und reagieren mussten. Die Brüder setzten sich mit schlüssigen Argumenten gegen die Reformmaßnahmen Maria Theresias und Joseph II. zur Wehr. Wie aufzeigt wird, kam es letztlich zu keinen grundlegenden Veränderungen der klösterlichen Welt, es veränderte sich aber das soziale Umfeld der Brüder. Es erwuchs ihnen eine ernstzunehmende Konkurrenz durch die Etablierung städtischer bzw. staatlicher Krankenhäuser. 

Einen Schwerpunkt des Buchs bildet die umfangreiche Auswertung der Krankenprotokolle. Dieser Aufgabe hat sich der Herausgeber angenommen und interessante Erkenntnisse gewonnen. Die sog. Krankenprotokolle nennen Vor- und Nachnamen der Patienten sowie ihr Alter, ihr Herkunftsland, ihren sozialen Stand (Beruf) und ihre Erkrankung. Die Spitäler der Barmherzigen Brüder standen allen Konfessionen offen, der Anteil Andersgläubiger war allerdings verschwindend klein. Aufnahme fanden nur männliche Kranke, weibliche Kranke wurden von speziellen Frauenorden aufgenommen. Da sowohl der Tag der stationären Aufnahme als auch der der Entlassung bzw. der Todestag Erwähnung finden, konnte die Aufenthaltsdauer der Patienten im Spital berechnet werden. Sie betrug im Durchschnitt um die 20 Tage, die der Verstorbenen war etwas länger. Die Entlassung der Patienten besagt natürlich nichts über den Heilerfolg; auch wenn keine Besserung eintrat oder der Tod drohte, konnten Patienten entlassen werden. Mit einem durchschnittlichen Alter von 30 Jahren waren die Patienten der Barmherzigen Brüder auch für die damalige Zeit noch nicht alt. Im Durchschnitt verstarben um die 12 Prozent der stationär behandelten Patienten. Ohne auf Vermögenslisten zurückgreifen zu können, ordnet der Herausgeber die Patienten der Ober- sowie der oberen- und unteren Mittelschicht und der Unterschicht zu. Dass die Bildung entsprechender Zuordnungskategorien überaus problematisch und auch unter verschiedenen Aspekten kritisch ist, wird dargelegt. Dennoch geben solche Kategorienbildungen einen groben Überblick zu den sozialen Rekrutierungsmustern der Patienten. Die gewonnenen Ergebnisse bestätigen die bisherigen Erkenntnisse. Die Spitäler der Frühen Neuzeit waren keine Orte, die vermögende Kranke zur stationären Versorgung aufsuchten. So stellte die untere Mittelschicht und die Unterschicht das größte Kontingent an Patienten, im Durchschnitt zusammen 85 Prozent. Der Adel spielte mit 0,3 bzw. 0,2 Prozent so gut wie keine Rolle. Die Krankenprotokolle unterrichten auch über das Krankheitsspektrum der Patienten. Auch hier ist die Kategorienbildung, um statistische Aussagen treffen zu können, fragwürdig. Die Krankenprotokolle nennen gemäß dem damaligen Diagnosestand im Allgemeinen nicht die Ursache der Erkrankung, sondern die Symptome. Die Analyse der Krankenprotokolle zeigt, dass der größte Teil der aufgenommenen Patienten, nämlich über 40 Prozent, an einer Fiebererkrankung litt. 

Der zweite Teil behandelt die Geschichte der Niederlassung und Finanzierung der oben genannten böhmischen Klöster. Im Fokus steht die Institutionengeschichte. Chronologisch werden die zahlreichen Stiftungen, die den Klöstern zugutekamen, aufgelistet. Im Rahmen der Finanzierung wird das Augenmerk v.a. auch auf Bauausgaben gerichtet. Die Patienten und der Krankensaal stehen – vermutlich aufgrund der Quellenlage – nicht im Fokus. Zu den genannten Klöstern gibt es des Weiteren jeweils einen Beitrag zur künstlerischen Gestaltung der Kirchen sowie noch einmal einen Bericht über die Krankenhausprotokolle der
jeweiligen Klöster.

Insgesamt gesehen, stellt der Band umfangreiches Material zur Analyse künftiger Forschungen bereit. Das heißt, im Allgemeinen wurden die Quellen chronologisch zusammengestellt, Strukturen – abgesehen von der Auswertung der Krankenprotokolle – aber nur in geringem Umfang herausgearbeitet. Über die Krankenpflege der Brüder, die sie den Kranken angedeihen ließen, erfahren wir so gut wie nichts. Weitere Sichtungen der Archivbestände werden zeigen, ob diesbezüglich noch neue Erkenntnisse gewonnen werden können. Die Gründe, die zur Spaltung der Provinz führten, werden wohl erst in den nächsten Bänden thematisiert. Kritisch anzumerken ist noch, dass das Buch aufgrund fehlerhafter Übersetzung nur schwer lesbar und dadurch bedingt auch Fehler enthält. Ein gründliches Lektorat wäre dringend angebracht gewesen. Insgesamt gesehen, enthält das Buch aber wichtige Informationen und erlaubt, Rückschlüsse zu den Ordensspitälern der Frühen Neuzeit zu ziehen. 

Eine Rezension von Dr. Bettina Blessing

Die Geschichte der gelben Häuser – 125 Jahre Sächsisches Krankenhaus Rodewisch

die geschichte der gelben häuserMaria Rank, Kerstin Eisenschmidt
Die Geschichte der gelben Häuser
125 Jahre Sächsisches Krankenhaus Rodewisch

Herausgegeben vom Sächsischen Krankenhaus Rodewisch, Zentrum für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie. [Selbstverlag]: [Rodewisch] [2018], Festeinband, 256 Seiten, 25,00 Euro, (ohne ISBN)

Das Sächsische Krankenhaus Rodewisch, Zentrum für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie ist ein Fachkrankenhaus mit den Schwerpunkten Psychiatrie und Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Neurologie und Forensische Psychiatrie (https://www.skh-rodewisch.sachsen.de/startseite/). Die in Trägerschaft des Freistaats Sachsen stehende Einrichtung wurde am
25. Juli 1893 als „Königlich Sächsische Landes-, Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke zu Untergöltzsch“ feierlich eingeweiht und eröffnet, wobei sie heilbare und unheilbare Kranke aus den seinerzeitigen Amtshauptmannschaften Plauen, Oelsnitz, Auerbach, Zwickau und Schwarzenberg aufnahm. Aufgrund zunehmender Überfüllung der bis dahin bestehenden Landesanstalten hatte der Landtag in Dresden in der Legislaturperiode 1888/89 den Bau einer neuen Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke beschlossen, für deren Standortwahl die damals noch unzureichende psychiatrische Versorgung im Erzgebirge und im Vogtland
ausschlaggebend war.

Anlässlich seines 125-jährigen Jubiläums im Jahre 2018 gab das Sächsische Krankenhaus Rodewisch das Buch „Die Geschichte der gelben Häuser“ heraus.
Maria Rank, Marketing-Chefin des Krankenhauses, und ihre Kollegin Kerstin Eisenschmidt zeichnen darin die Entwicklung der Einrichtung von ihrer Entstehung bis in die Gegenwart nach, wobei sie insbesondere den Wandel der Psychiatrie von einer Verwahranstalt zu einem Fachkrankenhaus beziehungsweise die Wahrnehmung der Patient*innen von „Irren“ zu psychisch Kranken in Wort und Bild herausarbeiten. Der gewählte Buchtitel war naheliegend, indem das Sächsische Krankenhaus Rodewisch in der Region von der Bevölkerung – damals wie heute – zumeist als „Die gelben Häuser“
bezeichnet wird.

Zur Bedeutung und Intention ihrer Veröffentlichung, die chronologisch aufgebaut und in zehn Kapitel gegliedert ist, schreiben die Autorinnen im Vorwort: „Schon mit Beginn der Recherche stellten wir fest, dass es nahezu unmöglich ist, alle interessanten Details in diesem Buch zu erwähnen. Wichtig war uns, keine trockenen Fakten niederzuschreiben, sondern vielmehr die Entstehung und Entwicklung der Klinik mit vielen Bildern, Anekdoten von Zeitzeugen, erstaunlichen – und teilweise sogar amüsanten – Aktenfunden greifbar zu machen“ (S. 5). Als Quellen dienten ihnen dabei unter anderem die im Haus vorhandenen Dokumente, die teilweise bis ins Gründungsjahr zurückreichen, Unterlagen vom Sächsischen Staatsarchiv Leipzig sowie Berichte
von Mitarbeiter*innen.

Insgesamt betrachtet haben Maria Rank und Kerstin Eisenschmidt ein sehr ansprechendes, mit Abbildungen – seien es nun zeitgenössische und aktuelle Baupläne, Fotos, Dokumente oder Graphiken – üppig ausgestattetes Werk vorgelegt, in dem auch die „dunklen Jahre“ der Einrichtung nicht verschwiegen werden. So wurden beispielsweise, wie die Darstellung zeigt, im Ersten Weltkrieg, Ende 1917, alle Patienten der Anstalt Untergöltzsch auf die übrigen Einrichtungen Sachsens verteilt, weil die Militärverwaltung das Haus als Reservelazarett beanspruchte. Über den Alltag in Rodewisch während der NS-Zeit ist, wie die Autorinnen bemerken, nur wenig bekannt, weil Mitarbeiter nicht darüber sprachen und Unterlagen vernichtet wurden. Nachweislich seien aber auch in den „gelben Häusern“ ein großer Teil der Patienten 1940 und 1941 Opfer der „Aktion T4“ und in der NS-Tötungsanstalt Sonnenstein bei Pirna ermordet worden, während man andere zwangssterilisieren und verhungern ließ. Selbst in der Nachkriegszeit sei die Unterbringung unmenschlich gewesen, indem psychiatrisch geschultes Personal rar war und die Patienten nur verwahrt statt therapiert wurden. Eine Wende sei erst 1963 mit den „Rodewischer Thesen“ gekommen. Wie Maria Rank und Kerstin Eisenschmidt schreiben, wurden dort erstmals „die zentralen Gedanken der deutschen Psychiatrie-Debatte formuliert, die auch die Entwicklung der Sozialpsychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland beeinflussten“ (S. 170). Dennoch seien die Bedingungen zu DDR-Zeiten weiterhin schwierig geblieben. „Trostlosigkeit hinter vergitterten Fenstern“ habe selbst noch ein Zeitungskommentar aus dem Jahr 1992 konstatiert.

Informationen über das Pflegepersonal sind eher spärlich, wobei sie sich, entsprechend dem Aufbau des Buches, an den verschiedensten Stellen finden. Für die zur Aufnahme von 400 Geisteskranken im Landtag genehmigte Heil- und Pflegeanstalt Untergöltzsch, die 1893 im Pavillon-Stil mit fünfzehn Gebäuden gebaut wurde, waren anzustellen: „1 Direktor, 1 Geistlicher, 1 Lehrer, 4 Ärzte, 3 Beamte, 3 Expedienten und gegen 100 Pfleger und Wärter“ (S. 12). Ende des 19. Jahrhunderts standen für 487 Kranke – davon 433 aus der unteren Klasse, 32 aus der oberen Klasse und 22 Pensionäre – insgesamt 107 Pflegekräfte zur Verfügung, von denen 53 Frauen (5 Oberschwestern, 22 Schwestern, 9 Hilfsschwestern, 17 Hilfswärterinnen) und 54 Männer
(2 Oberpfleger, 47 Pfleger, 5 Hilfspfleger) waren. Dabei standen für die 433 Patienten der unteren Klasse 86 Pflegekräfte zur Verfügung, was einem Pflegeschlüssel von 1 : 5 ergab. Demgegenüber wurden die 54 Pensionäre und Kranken der oberen Klasse von 21 Pflegekräften betreut, was einem Pflegeschlüssel von 1 : 2,6 entsprach (S. 34).

Entsprechend der Verordnung vom 24. Mai 1899 über die Dienstkleidung für „Wärterinnen, Hilfswärterinnen und Wärter in den Landes-Heil- und Pflegeanstalten sowie in den Erziehungsanstalten“, die die Dienstkleidung für alle sächsischen Anstalten als verbindlich erklärte, trugen – wie etwa auf den Abbildungen der Seiten 30, 31 und 57 deutlich zu erkennen ist – die Pflegerinnen eine feste Kleiderschürze, die Pfleger eine Uniform-Jacke und Schirmmütze. Aufschlussreich für die Bezahlung des Pflegepersonals ist der Hinweis, wonach laut einer Mitteilung des Sächsischen Innenministeriums vom 30. Juni 1902 das Gehalt des Oberpflegers Hermann Backofen zum 1. Juli 1902 „auf den Betrag von jährlich 1.800 Mark erhöht“ (S. 45) wurde.

Für die insbesondere an der Pflegegeschichte interessierte Leserschaft des Buches dürfte auch der Auszug aus dem Arbeitsvertrag einer Pflegerin zu Beginn des 20. Jahrhunderts interessant sein, in dem es heißt: „Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, daß Sie dem Könige treu und gehorsam sein, die Gesetze des Landes und die Landesverfassung streng beobachten, das ihnen übertragene Amt einer wirklichen Pflegerin an der Landesanstalt Untergöltzsch sowie jedes künftig Ihnen zu übertragende Amt und jede Verrichtung im öffentlichen Dienste, unter genauer Befolgung der gesetzlichen Vorschriften und den Anordnungen Ihrer Vorgesetzten gemäß nach Ihrem besten Wissen und Gewissen verwalten und sich allenthalben so betragen wollen, wie es einem treuen, redlichen und gewissenhaften Staatsdiener gebührt“ (S. 46).

Zu den konkreten zeitgenössischen Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals geben die Autorinnen unterdessen nur den knappen Hinweis, dass laut einer Mitteilung des Innenministeriums vom 6. Februar 1919 den Pflegern, die nicht in der Anstalt Mittag aßen, „tunlichst eine anderthalbstündige Mittagspause“ gewährt werden und „die Zeit, welche die Pfleger in der Anstalt dienstlich zubringen, in Zukunft wöchentlich im Durchschnitt nicht die Gesamtsumme von achtzig Stunden“ (S. 59) überschreiten sollte.

Bezugnehmend auf die (medizinische) Dissertation von Christine Wagner „Psychiatrie und Nationalsozialismus in der Sächsischen Landesheil- und Pflegeanstalt Untergöltzsch“ (Dresden 2002) finden sich über die Rolle des Pflegepersonals in der NS-Zeit lediglich die folgenden Angaben: „Trotz knapper materieller Ausstattung bemühte sich das Personal, die ihnen anvertrauten Kranken nach dem damaligen Wissensstand gut zu versorgen. Dazu dienten in erster Linie Arbeits-, Beschäftigungs- und Milieutherapie sowie Beruhigungsmittel (medikamentös und
mechanisch)“ (S. 73).

Ende der 1950er Jahre war neben einem Ärztehaus auch ein Schwesternwohnheim erbaut worden. Über das unter pflegehistorischen Gesichtspunkten wichtige Bauwerk heißt es in einer zeitgenössischen Beschreibung: „Ein kleiner Hörsaal, fachspezifisches Anschauungs- und Unterrichtsmaterial sowie Einzelzimmer und Gemeinschaftsräume werden den angehenden Schwestern übergeben. […] Der Neubau trägt entscheidend zur Konzentrierung und Verbesserung des Fachunterrichtes bei, zumal seit 1963 ständig Schwesternschülerinnen im Rahmen ihrer Fachausbildung zum Praktikum in der Klinik weilen. Außerdem ist mit der Erweiterung der Wohnraumkapazität eine wichtige Voraussetzung zur Gewinnung von Stammpersonal erfüllt“ (S. 113).

In ihrer Darstellung lassen Maria Rank und Kerstin Eisenschmidt auch mehrere Pflegende zu Wort kommen, wobei deren Ausführungen – über die Bedeutung für das Sächsische Krankenhaus Rodewisch hinaus – wichtige Dokumente für die historische Pflegeforschung sind. So berichtet Hanna Gotter, die von 1957 bis 2000 als Krankenschwester im Sächsischen Krankenhaus gearbeitet hat, davon 33 Jahre auf der Aufnahmestation für Frauen: „Angefangen habe ich als Stationshilfe, wurde dann Pflegerin und später Hilfsschwester bis ich die Ausbildung zur Krankenschwester abgeschlossen hatte und stolz meine Sieben-Falten-Haube tragen durfte. Krankenschwester zu sein bedeutete früher, dass man alles gemacht hat auf Station. Wir haben Fenster geputzt und sauber gemacht, aber vor allem haben wir durch den längeren Aufenthalt der Patientinnen deren Familie ersetzt.“ (S. 157). Ebenso sagt Volker Kuhn: „Ich habe bereits Ende der 70er Jahre als Hilfspfleger gearbeitet. […] 1982 begann ich meine Ausbildung als Facharbeiter für Krankenpflege. Die Zustände in den 80er Jahren waren – gelinde gesagt – katastrophal. Zwar waren die Gitter an den Stationen ab, aber die Türen immer noch geschlossen. […] Innerhalb der Mitarbeiter war der Zusammenhalt sehr groß und das Arbeitsklima gut. Wir haben immer versucht, das Beste aus der damaligen Situation zum Wohle der Patienten herauszuholen.“ (S. 197).

Wer sich für die Psychiatriegeschichte im Allgemeinen und das Sächsische Krankenhaus Rodewisch im Besonderen interessiert, kann die Chronik über „Die Geschichte der gelben Häuser“ gewinnbringend zur Hand nehmen. Wie die vorstehenden Beispiele zeigen, enthält die Darstellung zum 125-jährigen Jubiläum der Institution dabei auch immer wieder Informationen für ein speziell an der Pflegegeschichte
interessiertes Lesepublikum.

Eine Rezension von Dr. Hubert Kolling

Vom Krankenhaus Barmbek zum Quartier 21 (hamburger bauheft 27)

HH BH 27 RGB e1550231349810Jörg Schilling
Vom Krankenhaus Barmbek zum Quartier 21 (hamburger bauheft 27)

Schaff-Verlag. Hamburg 2019, 68 Seiten, broschiert, 9,00 Euro, ISBN 978-3-944405-43-8

Unter dem Motto „Architektur verstehen“ vermitteln die „Hamburger Bauhefte“ Fakten, Bezüge und Hintergründe – veranschaulichend und fundiert. Die inzwischen rund 30 Ausgaben umfassende Schriftenreihe, die ein Bewusstsein für die Entstehung von Architektur in ihren historischen, gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhängen schaffen möchte, widmet sich dabei einzelnen Objekten, die durch ihre Geschichte und aktuellen Aspekte von besonderem Interesse sind. Zu ihnen zählt zweifelsfrei auch das 1913/14 eingeweihte Dritte Allgemeine Krankenhaus in Barmbek, dessen Bau und Entwicklung bis zum heutigen Quartier 21
Jörg Schilling in der vorliegenden Arbeit vorstellt.

Für das von Baurat Dr.-Ing. Friedrich Ruppel (1854-1937) nach medizinisch-hygienischen Kriterien geschaffene und nach bürgerlichen Reformvorstellungen gestaltete System von Pavillonbauten wurde nach dem Bau der Asklepios-Klinik Barmbeck (2005) ein Umwandlungsprozess eingeleitet. Dabei entstand bis 2013 ein neues Quartier mit gemischter Nutzung, dessen Herzstück 21 denkmalgeschützte Bauten sind, die durch Neubauten für Gewerbe, vor allem aber durch Wohnungen speziell für junge Familien ergänzt wurden.

Die Lektüre der schmalen, durchgehend mit einer Vielzahl von zeitgenössischen Schwarzweiß- und Farbfotos sowie Bauplänen illustrierten Schrift ist dabei durchaus auch für an der Krankenhausgeschichte sowie an der historischen Pflegewissenschaft Interessierte interessant. Einleitend weist der Autor, der unter anderem als Freier Kunsthistoriker, Kurator und Dozent arbeitet, Inhaber des Schaff-Verlags und Herausgeber der „hamburger bauhefte“ ist sowie eine Reihe von Forschungsarbeiten und Publikationen zur Kultur- und Architekturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts vorgelegt hat, auf die Bedeutung und Intention der Veröffentlichung hin. Demnach nimmt sich das vorliegende Bauheft „eines besonders eindrucksvollen, jedoch bisher kaum gewürdigten Kapitels Hamburger Architektur- und Krankenhausgeschichte an“ (S. 4). Damit verbunden sei zugleich die Intention, an die ursprüngliche Nutzung und die soziale wie kulturelle Bedeutung dieser Krankenhausanlage zu erinnern, ebenso, dass die besagte Krankenversorgung und -pflege einst in staatlicher Hand und Verantwortung lagen.

In der insgesamt knappen Darstellung beleuchtet Jörg Schilling zunächst die Standortfrage und Pavillonbauweise, bevor er die konkreten Planungen für das Krankenhaus Barmbek mit seinen rund 1.500 Betten in den Blick nimmt. Wie er hierbei zeigt, sollten auf dem Gelände neben dem Direktor, Ärzten, Verwaltungsbeamten, Inspektoren und technischen Angestellten auch „Oberwärtern und Schwestern“ untergebracht werden. Entgegen vorherigen Plänen seien schließlich für die Unterbringung von Beamten, Angestellten und Wärtern – außer dem Direktorenwohnhaus im Krankenhausbereich – aber keine eigenen Gebäude, sondern Unterkünfte in den Dachgeschossen der Krankenpavillons eingerichtet worden. Während Baurat Ruppel das geplante Schwesternhaus „mit Rücksicht auf die sehr erheblichen Kosten“ hätte gänzlich streichen wollen, habe Direktor Dr. med. Carl August Theodor Rumpel (1862-1923) vorgeschlagen, das Schwesternhaus auf die geplanten Sozial- und Gesellschaftsräume nebst Gartenanlage zu reduzieren. Schließlich habe man sich darauf verständigt, „dass auch die Schwestern Wohnräume innerhalb der Pavillons beziehen sollten“ (S. 13).

In kurzen Abschnitten stellt der Autor die einzelnen Gebäude in Wort und Bild vor: das Direktorenwohnhaus, die Wirtschaftsgebäude, das Verwaltungsgebäude, das Tor- und Aufnahmegebäude, das Zentralgebäude, die „Kostgängerhäuser“ und den Ehrenhof, ebenso wie die Medizinische Abteilung, die Chirurgische Abteilung mit Operationshaus, die Infektionsabteilung, die Pathologie, die sogenannte „Puellenstation“ (Spezialabteilung für Prostituierte), die Frauenpavillons, die Garten-, Straßen- und Maueranlagen sowie das zweigeschossige „Schwesterhaus“. Letzteres, mit einem teilweise ausgebauten Dachgeschoss versehene Gebäude, das zwischen der Pathologie und dem Wirtschaftsgebäude im östlichen Anstaltsbereich lag, habe nur wenige Wohnungen für Oberschwestern beherbergt und ansonsten als Gesellschaftshaus gedient.

Das „Herzstück“ des Schwesterhauses sei ein großer Speisesaal im Erdgeschoss gewesen, der über ein großes Oberlicht in der tonnengewölbten Decke verfügte: „Ein Lese- und Musikzimmer, eine Anrichte und Bibliothek umrahmten den Speisesaal. Da hier ‚der Krankendienst von der Erholung abgelöst‘ werden sollte, wurde auf die ‚bauliche Ausstattung‘ der Haupträume im Erdgeschoss ‚größeres Gewicht‘ gelegt. Farbige Glasfenster und dekorative Wandfriese, Ornamente oberhalb der Türen und Fenster sowie die Eichenholzvertäfelungen an den Wänden verliehen den Räumen ein ‚feierliches‘ Ambiente. Nach Norden gingen sie in zwei Loggien und eine große Terrasse über, die von einer Balustrade begrenzt wurde und von der eine Treppe in den Gartenbereich führte“ (S. 33).

Unterdessen wurde ein großer Teil der verfügbaren Betten des am 20. August 1914 – kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs (1914-1918) – eingeweihten Krankenhauses Barmbek als Reservelazarett beansprucht. Während in diesem Zusammenhang Jörg Schilling von der Einrichtung einer „orthopädischen Werkstelle“ zur Anfertigung von Prothesen im Keller des Operationshauses berichtet, bleibt das Pflegepersonal und dessen Arbeitsalltag bedauerlicherweise völlig ausgeblendet.

Im Abschnitt über die Erweiterungs- und Neubauten der 1920er bis 1940er Jahre erfährt die Leserschaft immerhin, dass 1927 am Südrand des Geländes ein Sportplatz – zusätzlich zu dem Tennisplatz – für das Pflegepersonal des Krankenhauses entstanden sei, „nachdem ein solcher für die Ärzte der Anstalt schon länger vorhanden war“ (S. 49).

Die Berichterstattung über „die neue politische Situation“, wie der Autor die NS-Zeit nennt, fällt sehr kurz aus, wobei immerhin mitgeteilt wird, dass der Direktor sowie zwölf jüdische Ärzte von den Nationalsozialisten 1933 entlassen wurden. Hinweise auf das Pflegepersonal und dessen womögliche Verstrickungen in die NS-“Euthanasie“ gibt es auch hier keine.

Im darauffolgenden Abschnitt über die Entwicklung des Geländes von der Nachkriegszeit bis 2005 erscheint für Pflegehistoriker*innen interessant, dass 1957 ein neues Schwesternwohnhaus gebaut wurde. Dieses enthielt 80 „Einzelunterkünfte“ auf fünf Stockwerken und fasste die ehemals in den Dachgeschossen der Pavillons untergebrachten Wohnungen der Pflegerinnen zusammen. Ebenso seien Anfang der 1960er Jahre zwei weitere Schwesternhäuser entstanden.

Im Schlussabschnitt wird schließlich das neue „Quartier 21“ vorgestellt, in dem heute 1.200 Menschen leben.

Wer sich intensiver mit dem Dritten Allgemeinen Krankenhaus in Barmbek und dessen der Geschichte bis zur Gegenwart beschäftigen möchte, findet am Ende der Darstellung entsprechende Quellen und Literatur.

Insgesamt betrachtet ist die schmale Schrift „Vom Krankenhaus Barmbek zum Quartier 21“ lesenswert, wenngleich man sich unter pflegehistorischen Gesichtspunkten ausführlichere Informationen zum Pflegepersonal und – außer der Außenansicht vom Schwesternhaus und dessen Speisesaal – wenigstens eine Abbildung mit Schwestern und Pflegern gewünscht hätte.

Eine Rezension von Dr. Hubert Kolling