Mein letztes Wort<br> Der Grabstein als Visitenkarte (Rezension)

Mein letztes Wort
Der Grabstein als Visitenkarte (Böttger, Conny und Peter Cardorff)

Schwarzkopf und Schwarzkopf Verlag. Berlin 2003, 249 Seiten, 677 Abbildungen, gebunden, 28,00 € - ISBN 3-89602-458-2

Rezension von: Dr. Hubert Kolling

Wenngleich in den Medien ständig präsent, ist der persönliche Kontakt mit dem Tod in unserer Gesellschaft selten geworden. Gleichzeitig ist bei Sterbenden und ihren Angehörigen in den letzten Jahren das Bedürfnis nach einem neuen Umgang mit dem Tod festzustellen. Die Frage nach dem Umgang mit dem Tod stellt dabei freilich auch radikal die Frage nach dem Umgang mit dem Leben. Zugleich spiegeln sich in der Sterbekultur die Werte und Normen unserer Gesellschaft an der Jahrtausendwende. "Aus Staub bist Du und zu Staub sollst Du wieder werden - aber so zwischendurch ist ein Schluck Branntwein gar nicht übel", sagt ein jiddisches Sprichwort. Das mag sein, aber auch ein Friedhofsbesuch, das zeigt der vorliegende Band von Conny Böttger und Peter Cardorff "Der Grabstein als Visitenkarte", kann ein Labsal sein - denn: Des Menschen letztes Wort ist sein Grabstein, wenn er ihn entsprechend nutzt, als Kommunikationsmittel in eigener Sache, als Gelegenheit, Bilanz zu ziehen und Farbe zu bekennen. Antwort zu geben auf die Frage, wie er selbst sich sieht, und kundzutun, wie er den anderen in Erinnerung bleiben möchte. Ob Liebeserklärung, Gegendarstellung zu übler Nachrede oder Bekennerbrief - das Potenzial sprechender Grabsteine ist gewaltig, wie "Mein letztes Wort" anschaulich dokumentiert: Der Fußballer zeigt sich mit einem Ball auf dem Grab; der Gescheiterte zieht öffentlich Bilanz auf dem Stein: "Der Kampf ist aus. Paul, der Verlierer". Unterdessen tönt es hier "Rock ´n Roll forever" von einem Grabmal, mit einem sterbenden Schwan outet sich dort ein Opernsänger, um die Nachwelt sorgt sich der Menschenfreund: "Seid lieb zueinander".

Grabsteine sind Lebenszeichen, mehr denn Todesanzeigen, wie die vorliegende Veröffentlichung belegt. Wer bin ich? Was will ich? Wen oder was liebe ich? Wofür stehe ich? Was hoffe ich? Auf diese Fragen antwortet der Mensch auch durch sein Grabmal, das seine gewesene Persönlichkeit, außer durch seinen Namen, auch durch andere Symbole und Texte beschreibt, die ihn in seinen Leidenschaften ausweisen. Conny Böttger, Bildredakteurin bei Greenpeace und freie Fotografin, und der Wissenschaftsautor Peter Cardorff präsentieren in ihrem Buch mit 677 Fotos, aufgenommen zwischen 1992 und 2003 auf rund 300 Friedhöfen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, ein Kaleidoskop der Bilder, Symbole und Slogans. In 21 Kapiteln, darunter "Der Mensch, wie er trinkt, spielt und genießt", "Kleine Publikumsbeschimpfungen" und "Kundgebungen aus der Beziehungskiste" portraitieren sie den Grabstein als ein Mittel der Lebenskunst. Wie sich dabei zeigt, sind Grabstätten auch Erinnerungs- und Ausstellungsorte: Sportler verewigen ihren Tennis- oder Golfschläger und Tierliebhaber ihre Katze oder ihren Hund. Wichtige Lebensbereiche, wie Reisen, Arbeit oder Familie werden ebenfalls auf Grabsteinen abgebildet und zeigen Vorlieben und Leidenschaften der Verstorbenen. Die letzte Botschaft wird so zur Essenz eines ganzen Lebens. "Hier wohnt E. Schulz", "Feierabend" oder einfach nur "Tschüss" - der Fantasie sind scheinbar keine Grenzen gesetzt. Wie die Autoren einleitend betonen, dient die Kapiteleinteilung nicht dem Zweck, Worte, Bilder und Symbole zu einer Eindeutigkeit zu zwingen, die sie nicht haben, sondern den Zugang zu den verschiedenen Bedeutungen von einer Seite her zu öffnen. Wenngleich viele der gezeigten Motive, so zum Beispiel Bekenntnisse aus dem Bereich "Essen und Trinken", in der heutigen Friedhofslandschaft ausgesprochene Raritäten sind, ist der Trend zur Erweiterung und Differenzierung der Grabsprache nicht zu übersehen. Durch die auf der Bundesgartenschau in Potsdam 2001 präsentierten Mustergräber der Friedhofsgärtner wurde diese Entwicklung bekräftig. Im Nachwort "11 Gründe, sein Grabmal selbst zu entwerfen", gehen Conny Böttger und Peter Cardorff auf die kulturhistorischen Zusammenhänge der Bestattungskultur ein und ermuntern ihre Leserschaft zur Selbstbesinnung. "Mein letztes Wort" ist dabei eine Fundgrube für jeden Sterblichen. Es ist freilich kein Buch über den Tod und über das Sterben, sondern über Lebens-Symbole, die im Diesseits bedacht und fürs Diesseits entworfen sind. Streng einer Ästhetik der Individualität verpflichtet, gleicht es einer Sehschule für Friedhofsbesuche und einer Sprachschule - für Normalsterbliche und für Exzentriker. Der auf hochwertiges Kunstdruckpapier in Duotone gedruckte Band regt zum Nachdenken über den eigenen Grabstein an, selbst wenn man vielleicht später mal gar keinen haben möchte. Darüber hinaus bietet die Veröffentlichung, etwa im Unterricht an Kranken- oder Altenpflegeschulen, gleichermaßen Auszubildenden wie Lehrenden einen sehr guten Zugang zur Auseinandersetzung mit unserer Sterbekultur.