Frontschwestern und Friedensengel. Kriegskrankenpflege im Ersten und Zweiten Weltkrieg<br> Ein Quellen- und Fotoband (Rezension)

Frontschwestern und Friedensengel. Kriegskrankenpflege im Ersten und Zweiten Weltkrieg
Ein Quellen- und Fotoband (Panke-Kochinke, Birgit und Monika Schaidhammer-Placke)

Mabuse-Verlag. Frankfurt am Main 2002, 287 S., broschiert, € 27.00 - ISBN - 3-933050-91-X

Rezension von: Dr. Hubert Kolling

Mit der Einrichtung von zahlreichen Studiengängen an Fachhochschulen und Universitäten in den letzten zwei Jahrzehnten hat die Entwicklung der Pflegewissenschaft in Deutschland einen starken Entwicklungsschub erlebt. Wer freilich glaubte, in diesem Prozess hätte sich auch die Geschichte der Pflege zu einem Zweig der Pflegeforschung profiliert, sieht sich getäuscht. Noch immer werden Forschungen zur Geschichte der Pflege nicht aus der Einsicht in die Notwendigkeit heraus initiiert, sondern entstehen überwiegend aus dem individuellen Interesse einzelner Forscher/innen heraus. Von einer umfassenden und systematischen Aufarbeitung der Geschichte unter pflegerischen Gesichtspunkten kann bisher jedenfalls noch keine Rede sein. Immerhin sind in den letzten Jahren einige bedeutende Arbeiten erschienen, die eine historische Aufarbeitung von Teilaspekten der Entwicklung des Pflegeberufs versuchen. Zu ihnen ist auch der von Birgit Panke-Kochinke und Monika Schaidhammer-Placke vorgelegte Quellen- und Fotoband "Frontschwestern und Friedensengel" zu rechnen, in dessen Mittelpunkt die Kriegskrankenpflege im Ersten und Zweiten Weltkrieg steht.

Das aufgegriffene Thema ist um so bedeutender, als man sie weitgehend vergessen hat, die Vielzahl der Krankenschwestern, Hilfsschwestern und Helferinnen, die sich im Ersten und Zweiten Weltkrieg freiwillig zur Kriegskrankenpflege meldeten oder von ihren Organisationen zur Verfügung gestellt wurden und in der so genannten Etappe und im Operationsgebiet eingesetzt waren. Für gewöhnlich erhielten sie ihren Marschbefehl für ein unbekanntes Ziel. Nicht nur wenige Monate, sondern oft Jahre sollte es dauern, bis sie wieder den Heimweg antreten konnten - in eine Heimat allerdings, die sie oft nicht wiedererkannten, und die sie nicht als Heldinnen empfing. "Friedensengel" nannte man sie in der Tradition von Elsa Brandstöm, zu "Frontschwestern" wurden sie erst im Nationalsozialismus erklärt. Dabei hat es die "Frontschwestern" und "Friedensengeln" nie gegeben, wie die Autorinnen in ihrem Vorwort betonen. Auch wenn es in Romanen und Lebenserinnerungen oft so aussieht, aber direkt an der Front wurden Krankenschwestern nicht eingesetzt, kaum einmal auf den Hauptverbandsplätzen und nur selten in den so genannten Feldlazaretten. Die Soldaten nannten sie "Schwester" oder "Mutter" und als "Kameradin" fanden sie sich in den Romanen wieder. Sie sollten Gott, dem Vaterland und dem Kaiser / Führer dienen, mit allen Schwierigkeiten fertig werden, das Elend ertragen und dabei noch Hoffnung verbreiten. Dass dieses Bild nicht mit der Wirklichkeit gleichgesetzt werden kann, zeigt eindrücklich der vorliegende kommentierte Quellen- und Fotoband. Dabei stellt sich eine Reihe von Fragen: Was waren das eigentlich für Frauen, die im Ersten und Zweiten Weltkrieg in den Lazaretten hinter der Front gearbeitet und gelebt haben? Welche Erfahrungen haben sie gemacht und wie sind sie mit diesen Erfahrungen umgegangen? Und - als Voraussetzung, um diese Fragen überhaupt beantworten zu können - was haben sie in diesen Lazaretten eigentlich getan? Wie sah ihre Arbeit, ihre Freizeit aus? Wie viele waren es, wo waren sie eingesetzt, welchen Standort hatten sie innerhalb der Heeresorganisation? Welche Erinnerungen haben sie hinterlassen und wie beschreiben sie diese im Rückblick auf ein langes Leben fast sechzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges? Was also lässt sich überhaupt noch rekonstruieren und wie kann man diese Erkenntnis bewerten? Die Beantwortung dieser Fragen, die zunächst ein umfangreiches Forschungsprojekt klären müsste, ist nicht der Anspruch des vorliegenden Bandes. Er legt vielmehr eine Auswahl von Quellentexten und Fotografien vor, die von Zeitzeuginnen, aus privaten Nachlässen und öffentlichen Archiven zur Verfügung gestellt wurden. Dokumentiert wird so der organisatorische und ideologische Rahmen und darüber hinaus, was Krankenschwestern selbst dazu geschrieben haben: in ihren Briefen, ihren Tagebüchern, ihren Lebenserinnerungen und in Interviews.

In einem einleitenden Überblick (S. 13-36) berichten Birgit Panke-Kochinke und Monika Schaidhammer-Placke zunächst davon, welche Krankenschwestern im Ersten und Zweiten Weltkrieg mit welcher Ausbildung wo eingesetzt waren und wie sich ihre Reintegration in die Gesellschaft nach dem Kriegsende gestaltete. Ihre daran anschließende Betrachtung des zeitgenössischen Diskurses lässt erkennen, in welcher spezifischen Mischung und ideologischen Konkretisierung Erfahrungen, Erlebnisse und Erkenntnisse veröffentlicht wurden. Hierbei werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Weltkriegen deutlich. Sodann stellen die Autorinnen die ideologischen Grundlagen vor, die in der Zwischenkriegszeit den Mythos der "Frontschwester" und des "Friedensengels" mitbegründet haben, wobei sie zentrale Symbole dieser Ideologisierung benennen und in ihrem Wandel beschreiben.

Viele der dargestellten Dokumente, Fotos etwa, die nach Hause geschickt, in Tagebücher eingeklebt als Erinnerung und aufbewahrt wurden, werden in dem Buch zum Teil erstmals veröffentlicht. Darüber hinaus wird eine Vielzahl eher schwer zugänglicher Primärquellen und (graue) Literatur vorgestellt, die man in den wenigen Lehrbüchern zur Geschichte der Krankenpflege bislang vergeblich sucht. Insgesamt betrachtet wird die Geschichte der Krankenpflege mit dem vorliegenden Band um eine wichtige Dimension ergänzt. Von daher sollte der Band in keiner Bibliothek des Gesundheitswesens fehlen und darüber hinaus vor allem in Lehre und Forschung Berücksichtigung finden.