Pflegemanagement zwischen Ethik und Ökonomie |
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Die Klage von Pflegenden in den ambulanten und stationären Einrichtungen der Altenhilfe wird mit jeder Neuregelung der Gesundheitsgesetzgebung lauter. In dem vorliegenden Band sind Untersuchungen zusammengefasst, die sich vor allem mit der Rolle der Pflegeleitung beschäftigen, die einen ständigen Spagat zwischen den immer enger werdenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und erlernten Maßstäben einer menschenwürdigen Pflege alter Menschen leisten müssen. Dass es sich dabei nicht um ein spezifisch deutsches Problem handelt, wird daran deutlich, dass die Beiträge von der Situation in mehreren europäischen Ländern handeln, wobei unterschiedliche Herangehensweisen aufgezeigt werden.
Der erste Beitrag gibt eine Einführung in die theoretischen Argumentationslinien der Disziplin „Ethik“.
Es schließt sich eine Studie zum ethischen Führungshandeln von Pflegemanager/-innen in der stationären und teilstationären Altenpflege an. Dass Pflegeleitungen unterschiedlich große Handlungsspielräume haben, ist kein überraschendes Ergebnis. Das Gleiche gilt für das Ergebnis, dass es bei gleichen Rahmenbedingungen auch Geschäftsführer mit unterschiedlichen Leitvorstellungen und damit unterschiedlichen Vorgehensweisen gibt. Spannend sind in diesem Beitrag, der überschrieben ist mit „Altersrationierung: Gerechtigkeit und Fairness im Gesundheitswesen“ die Ausführungen über die Rationierung, wobei auch die Situation in der Schweiz dargestellt wird. Zuzustimmen ist der Autorin darin, dass die Tabuisierung der Rationierung überwunden werden muss; es geht schon lange nicht mehr um ein „Ob“, sondern um das „Wie“.
In dem zweiten Beitrag, dem eine Studie zugrunde liegt, bei der Führungskräfte aus pflegerisch-ambulanten und stationären Bereichen interviewt wurden, geht es um den Umgang mit Verantwortung und Macht.
Im Mittelpunkt des dritten Beitrages steht die Finanzierung der Versorgung pflegebedürftiger alter Menschen im Kontext des französischen Gesundheitswesens. Im vierten Beitrag „Mit knappen Ressourcen (über)leben“ werden Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und Pflege im britischen Gesundheitswesen erörtert. In seinem weiteren Beitrag, ebenfalls aus Großbritannien werden die Wege der Entscheidungsfindung in der pflegerischen Praxis aufgezeigt. Im letzten Beitrag wird danach gefragt, inwieweit der Prozess der pflegerischen Sorge im ethischen Sinn von den Strukturen, in denen Pflege stattfindet, positiv oder negativ beeinflusst wird. Dabei wird deutlich, dass Pflege in einem höchst komplexen Netzwerk stattfindet. Der Autor – ein Belgier – sieht die Pflegenden in einer Scharnierfunktion. Hinsichtlich der Überzeugung des Autors, dass Pflegende durch die Entwicklung und Teilnahme an institutionalisierten Kanälen der ethischen Diskussion eine gute Gelegenheit zur Beeinflussung der Gesundheitspolitik haben, sind allerdings einige Zweifel angezeigt.
Durchgehender Tenor in den Beiträgen ist die Klage über die Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung im Allgemeinen und die im Bereich der Altenhilfe im Besonderen. Dem wird man sich ohne Probleme anschließen können – gleichwohl hat diese Klage auch etwas Populistisches. Die Herausgeberin geht leider nicht weiter auf ihre Feststellung ein, dass die Rationierung im Gesundheitswesen in hohem Maße tabuisiert ist. Hier würde es sich lohnen, einmal etwas genauer hinzusehen. Die Überprüfung von Medikamentenlisten in Einrichtungen der Altenhilfe auf Plasibilität würde ein sehr hohes Maß an – kostenintensiver – Fehlversorgung offenbaren – wieso benötigt z. B. nahezu jeder alte Mensch, der einmal im Krankenhaus war, einen Magenschutz? Wieso müssen irgendwann einmal im Rahmen eines Klinikaufenthaltes festgestellte Elektrolytdefizite über Monate mit teuren Produkten z. B. der Firma Sandoz substituiert werden, ohne dass jemals wieder eine Elektrolytkontrolle erfolgt? Beispiele dieser Art ließen sich nahezu beliebig lange auflisten. Ein im deutschen Versorgungssystem verankertes Strukturproblem ist ebenfalls kostentreibend: Nur Ärzte sind befugt, ein Rezept auszustellen. Damit rezeptieren sie in einem nicht geringen Umfang Dinge, von denen sie in der Mehrzahl nur sehr begrenzt Ahnung haben: z. B. Inkontinenzmaterialien, Materialien für die enterale Ernährung. Es macht hier wenig Sinn, die Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung zulasten der ethischen Ausrichtung zu beklagen – niemand arbeitet in diesem Bereich um Gottes Lohn. Es wäre vielmehr notwendig, mit den Mitteln der Ökonomie aufzuzeigen, wer gesellschaftlich an welchen Strategien ein Interesse an welcher Versorgung hat.
Auch wenn die Ausführungen nicht wirklich zum Kern des Problems vordringen, gebührt den Herausgebern Respekt dafür, das Thema aufgegriffen zu haben.