Die Privatisierung von Krankenhäusern (Rezension)

Die Privatisierung von Krankenhäusern (Heubel, Friedrich et al. (Hrsg.))

VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 2010, 202, 29,95 €,

Rezension von: Dr. Hubert Kolling

Die Zahl der Krankenhäuser in privater Trägerschaft in Deutschland ist im Verlauf den letzten 20 Jahren enorm stark angewachsen. Der Trend zur Privatisierung ging dabei nahezu ausschließlich zulasten von Krankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft. Für überregionale Schlagzeilen sorgte 2005 die Übernahme der Universitätskliniken Gießen und Marburg durch die Rhön-Klinikum AG. Das enorme Wachstum gewinnorientierter Krankenhausbetreiber wirft unterdessen die Frage auf, warum es privaten Krankenhausträgern offensichtlich gelinkt, Krankenhäuser wirtschaftlich besser zu führen, welche Konsequenzen sich daraus für das Versorgungsniveau der Bevölkerung ergeben und wie weit der Primat der Wirtschaftlichkeit auch im Gesundheitswesen Platz greifen sollte beziehungsweise darf. Das vorliegende, von Friedrich Heubel, Matthias Kettner und Arne Manzeschke herausgegebene Buch "Die Privatisierung von Krankenhäusern" beschäftigt sich mit diesen Fragen anhand ethischer Kriterien. Die darin vereinten Beiträge gehen zurück auf ein im November 2008 gehaltenes Symposium der Gesellschaft für Ethik und Medizin Marburg. Die jährliche Veranstaltung, die von der Arbeitsgruppe Klinikprivatisierung vorbereitet wurde, trug den Titel "Wie ist Krankenhausprivatisierung ethisch zu beurteilen?"
Das Buch erscheint in der von Ullrich Bauer, Uwe H. Bittlingmayer und Matthias Richter herausgegebenen Schriftenreihe "Gesundheit und Gesellschaft". Die Beiträge der Reihe umfassen theoretische und empirische Zugänge, die sich in der Schnittmenge sozial- und gesundheitswissenschaftlicher Forschung befinden. Inhaltliche Schwerpunkte sind die detaillierte Analyse unter anderem von Gesundheitskonzepten, gesundheitlicher Ungleichheit und Gesundheitspolitik.
Ein paar Angaben zum Herausgebergremium:
Dr. Friedrich Heubel, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, ist Privatdozent für Medizinethik. Er war Vorsitzender der Kommission für Ethik in der Ärztlichen Forschung des Fachbereichs Medizin der Universität Marburg. Sein Interesse gilt der Medizin als Praxis und als Institution aus der Perspektive Kant´scher Moralphilosophie. Er leitet die Arbeitsgruppe Klinikprivatisierung der Akademie für Ethik in der Medizin in Göttingen.
Dr. Matthias Kettner, Diplompsychologe, ist Professor für praktische Philosophie an der Universität Witten / Herdecke. Er habilitierte sich mit einer Arbeit über Diskursethik. Seit 2003 ist er Vorstandsmitglied der Göttinger Akademie für Ethik in der Medizin. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind: Deutscher Idealismus, theoretische und praktische Ethik, politische Philosophie, Methodenprobleme der Psychoanalyse und die sozialpsychologische Kulturtheorie.
Dr. Arne Manzeschke hat nach einer Ausbildung zum Ingenieurassistenten Theologie und Philosophie studiert. Nach Pfarramt und wissenschaftlicher Assistentenzeit leitet er heute als Privatdozent und Akademischer Oberrat die Arbeitsstelle für Theologische Ethik und Anthropologie an der Universität Bayreuth. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Wirtschafts- und Technikethik. 2008 wurde er mit dem Ersten Ethikpreis der Deutschen Wirtschaftsgilde für Forschungen zur Ökonomisierung im deutschen Krankenhauswesen ausgezeichnet.
Der Sammelband vereint neben einer Einführung (S. 7-11) seitens der Herausgeber insgesamt acht Beiträge, die zwei thematischen Schwerpunkten - einem deskriptiven und einem reflexiven Teil - zugeordnet sind:
Bestandaufnahme

  • - Franziska Prütz: Die Krankenhauslandschaft nach Trägern und Rechtsformen (S. 15-41)
  • - Rainer Sibbel: Krankenhäuser als Wirtschaftseinheiten - ökonomische Aspekte und Herausforderungen (S. 43-58)
  • - Horst Imdahl: Krankenhausprivatisierung: Auch unter DRG-Bedingungen ein Erfolgsmodell? (S. 59-76)
  • - Viola Schubert-Lehnhardt: DDR-Polikliniken und Medizinische Versorgungszentren - ein Vergleich zweier umfassender Versorgungsformen (S. 77-98)
  • Reflexion

  • - Christian Lenk: Gesellschaftsvertrag und Recht und öffentliche Gesundheitsversorgung (S. 101-115)
  • - Matthias Kettner: Kann Ökonomisierung gut und muss Kommerzialisierung schlecht sein? (S. 117-132)
  • - Arne Manzeschke: "Ohne Ansehen der Person" - Zur ethischen Unterbestimmtheit der ökonomischen Theorie im Privatisierungskurs (S. 133-163)
  • - Friedrich Heubel: Therapeutische Interaktion und Funktionslogik des Marktes (S. 165-194).
  • Ergänzt werden die Beiträge durch die von Friedrich Heubel, Horst Imdahl, Matthias Kettner, Christian Lenk, Arne Manzeschke, Franziska Prütz, Viola Schubert-Lehnhardt und Rudolf Seeliger verfasste "Abschließende Stellungnahme der Arbeitsgruppe" (S. 195-199).

    Den deskriptiven Teil des Bandes eröffnet Franziska Prütz mit einer differenzierten Beschreibung der deutschen Krankenhauslandschaft im Trend der Privatisierung. Sie charakterisiert die verschiedenen Rechtsformen beziehungsweise Träger, die sich hinter dem pauschalen Begriff der Privatisierung verbergen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, wie die verschiedenen Verselbständigungsformen des Managements mit dem ökonomischen Druck zurechtkommen können. Nach Ansicht der Autorin sind eine gute Patientenversorgung und wirtschaftlicher Erfolg nicht ohne Weiteres miteinander in Einklang zu bringen. Hierzu hält sie wörtlich weiter fest: "Es mag ein positiver Effekt der Privatisierungen gewesen sein, Krankenhäuser auch als Unternehmen zu betrachten, da eine wirtschaftliche Gesundheitsversorgung im Interesse der Solidargemeinschaft ist; sollte sich die Sichtweise durchsetzen, Krankenhäuser nur als Unternehmen zu betrachten, würde die Patientenversorgung jedoch den wirtschaftlichen Zielen des Unternehmens untergeordnet, was weitreichende negative Folgen hätte" (S. 41). Hier Grenzen zu setzen, sei die Herausforderung für öffentliche und freigemeinnützige Krankenhäuser.
    Rainer Sibbel betrachtet die Krankenhäuser gesundheitsökonomisch. Er benennt die Hemmnisse, die aus dieser Sicht für öffentliche Träger, und die Erfolgsfaktoren, die für private Betreiber gelten. Der Autor argumentiert, dass auch die privaten Träger im Wettbewerb die "Sachziele" neben den "Formzielen" nicht vernachlässigen können. Die Leistungsindikatoren im Vergleich öffentlich, freigemeinnützig und privat zeigten, dass die geeigneten organisatorischen Mittel nicht nur den privaten Trägern zu Gebote stünden. Im Einklang mit weltweit gemachten Erfahrungen beruhten gelungene Privatisierungen nicht auf Deregulation, sondern auf kluger staatlicher Regulation (S. 58).
    Horst Imdahl schildert zunächst die typischen Verfahrensschritte, die eine Krankenhausprivatisierung vom lokalpolitischen Beschluss bis zu den ersten Maßnahmen des neuen Besitzers durchläuft. Er erläutert auch das Vergütungssystem der DRGs und zeigt an Beispielen kommunaler Krankenhausprivatisierungen, wie durch diese diagnosebezogenen Pauschalen private Krankenhausbetreiber unter ökonomischen Druck geraten können. In den USA stagniere der Anteil Privater seit der Umstellung auf DRGs in der ersten Hälfte der 1980er Jahre bei nicht einmal 20 Prozent. Für den Autor deuten erste Anzeichen darauf hin, "dass durch die Einführung der DRGs auch in Deutschland die Privatisierungswelle abebben wird" (S. 76). Dies sei aus der Sicht der Patienten auch wünschenswert.
    Viola Schubert-Lehnhardt beschreibt das politische Versorgungssystem der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik qualitativ und quantitativ nach Zielen, Strukturen, Entwicklungsschritten, Leistungen und Defekten. Den Hauptgesichtspunkt bilden die Kontraste zu Marktelementen: Gleichverteilung des Leistungsangebots in der Fläche, gleiche Versorgung aller Patienten, direkte Verbindung von Ambulanz und Klinik, wobei sowohl Organisation wie Finanzierung direkt durch zentrale staatliche Stellen erfolgt, nicht durch einen gesetzlichen Rahmen, der von den Akteuren nach deren Prioritäten ausgefüllt werden kann.

    Den reflexiven Teil des Bandes beginnt Christian Lenk im Rückgang auf die klassische Theorie des Gesellschaftsvertrages als Basis staatlichen Handelns. In der von John Rawls vertretenen und modifizierten Form nutzt er sie als Prüfkriterium für die Gerechtigkeit eines Staates. Der Autor diskutiert in diesem Zusammenhang das Verhältnis von Grundbedürfnissen, Grundgütern und Grundrechten und hält fest, dass Gesundheit den "Status eines Grundgutes" hat. Daraus folge eine Verantwortung des Staates für die Gesundheitsversorgung überhaupt: Private Erbringungsformen seien zwar möglich, der Staat müsse Marktversagen aber korrigieren können.
    Matthias Kettner präzisiert das begriffliche Instrumentarium. Er bestimmt Merkmale marktförmigen Handelns und beschreibt einige Ansatzstellen für die moralische Kritik an Kommerzialisierung. Moralisch fragwürdig ist für den Autor dabei die Möglichkeit, dass die Gewinnerzielung Vorrang vor der Behandlungsqualität erhalten kann.
    Arne Manzeschke thematisiert das Spannungsverhältnis von Eigeninteresse und Zuwendung zum Anderen. Auf dieses Thema hin vergleicht er die Pflichtenethik von Immanuel Kant, die wirtschaftsethische Konzeption von Peter Ulrich und den philosophischen Ansatz von Emmanuel Levinas. Hierbei kritisiert er die These von der langfristigen Gewinnmaximierung als bestem Mittel zur allgemeinen Wohlfahrt unter Rückgriff auf Ulrich. Und der konzeptionellen Aufwertung des Eigeninteresses stellt er die Verantwortung für den Anderen nach Levinas entgegen. Ohne diese drohe ein Versorgungssystem "ohne Ansehen der Person, nicht aber ohne Ansehen seiner Zahlungsfähigkeit" (S. 163).
    Friedrich Heubel macht deutlich, worin die typische Situation von behandelnden Ärzten und behandlungsbedürftigen Patienten von der typischen Situation von Verkäufern und Kunden abweicht. Seines Erachtens sollten Krankenhäuser die quantitativen Wirtschaftsgüter, die Voraussetzungen und Ergebnisse therapeutischer Entscheidungen sind, zur Verfügung stellen, die therapeutische Situation selbst aber unangetastet lassen, was im privaten, renditegetriebenen Unternehmen Krankenhaus wegen der dort vergleichsweise geringeren professionellen Autonomie der Behandler auf spezifische Schwierigkeiten stoße.
    Nach Ansicht der Arbeitsgruppe ("Abschließende Stellungnahme") gibt es "derzeit keine eindeutige Belege dafür, dass privatisierte Krankenhäuser bei gleich guter Krankenversorgung kostengünstiger arbeiten oder die Versorgung sogar verbessern würden" (S. 195). Allerdings sei die Beurteilung aus mehreren Gründen nicht einfach.
    Die Privatisierung von Krankenhäusern ist ein weites Feld, das sich aus recht unterschiedlicher Perspektive betrachten lässt. Wen bei dem Thema auch die ethischen Perspektiven interessieren, findet in dem vorliegenden Buch eine Fülle von Anregungen und guten Argumenten. Abgesehen von Profis der Gesundheitswissenschaften und Public Health sei die Lektüre des Buches grundsätzlich allen ans Herz gelegt, die sich Gedanken über die Zukunft unsere Krankenhäuser und die damit verbundenen Erwartungen hinsichtlich der medizinischen und pflegerischen Versorgung machen.