Heller, Geschichte der Hospizbewegung

 

Heller, Andreas et al.

Die Geschichte der Hospizbewegung in Deutschland

Mit einem Beitrag von Klaus Müller

Der Hospiz Verlag. Ludwigsburg, 2012, 374 S., 34,90 €, ISBN 978-3-941251-53-3

Eine Rezension von Dr. Hubert Kolling

Wie keine andere Institution hat die Hospizbewegung – eine der großen sozialen Bewegungen in Deutschland – in den letzten 25 Jahren unseren Umgang mit Sterben und Tod verändert. Am Anfang stand dabei der Versuch von sozial engagierten Menschen, neue Wege für das Lebensende zu finden. Vieles aus der Anfangszeit ist mittlerweile bereits in Vergessenheit geraten, zumal in etlichen Hospizinitiativen inzwischen ein Generationswechsel stattgefunden hat.

In den vergangenen Jahren ist eine Vielzahl von Publikationen erschienen, die verschiedene Aspekte der Hospizbewegung behandeln. In dem vorliegenden Buch von Andreas Heller, Sabine Pleschberger, Michaela Fink und Reimer Gronemeyer, die jeweils bereits mit zahlreichen Publikationen in unterschiedlicher Form zum Thema „Hospiz“ auf sich aufmerksam machten, wird nun erstmals umfassend die Geschichte der Hospizbewegung in Deutschland vorgestellt. Die Veröffentlichung basiert auf Ergebnissen des mehrjährigen Forschungsprojekts „hospiz.geschichte-zukunft“ (2006 – 2008), das nach dem Vorbild des International Observatory on End of Life Care an der Lancaster University (England) – das über eine Sammlung bestehend aus Interviews mit 300 Personen aus dem Bereich Hospizarbeit und Palliative Care verfügt (vgl. www.hospice-history.org.uk) – durchgeführt wurde. Zielsetzung des Projekts war die Aufzeichnung der Geschichte der Hospizbewegung, was anhand von 73 Interviews mit 76 PionierInnen, GründerInnen und MitinitiatorInnen in Deutschland nach dem Ansatz der Oral History geschah. Die Darstellung der Geschichte der Hospizbewegung durch individuelle Porträts ihrer Protagonisten soll dabei insbesondere dem Umstand Rechnung tragen, dass es nicht die „eine“ Geschichte der deutschen Hospizbewegung gibt.

Dr. Andreas Heller M.A. ist Professor für Palliative Care und Organisationsethik an der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) der Universität Klagenfurt, Wien und Graz und leitet den internationalen Studiengang Palliative Care und das interdisziplinäre DoktorandInnenkolleges. Er ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat und Stiftungsrat des Deutscher Hospiz- und PalliativVerbandes (DHPV) (Berlin) und des Beirats der Robert Bosch Stiftung (Stuttgart). Darüber hinaus ist er geschäftsführender Herausgeber der internationalen Zeitschrift Praxis Palliative Care und Hauptherausgeber der Buchreihe „Palliative Care und Organisationsethik“ im Lambertus Verlag (Freiburg), in der seit 1999 bereits 22 Bände erschienen sind.

Dr. Sabine Pleschberger, Master of Public_Health (MPH), Krankenpflege, Studium der Pädagogik, Gesundheitswissenschaften und Soziologie, ist Professorin und im Vorstand des Instituts für Pflege- und Versorgungsforschung an der Gesundheitsuniversität UMIT Hall i.T. in Wien. Als langjährige Mitarbeiterin an der Abteilung Palliative Care und Organisationsethik der IFF, Universität Klagenfurt und Wien, koordinierte sie das Projekt zur Geschichte der Hospizbewegung in Deutschland.

Die Soziologin Dr. Michaela Fink arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Justus-Liebig-Universität Gießen in verschiedenen Forschungsprojekten zur Hospizbewegung und zu HIV / AIDS sowie AIDS-Waisen im Südlichen Afrika. 2011 promovierte sie mit der Dissertation zum Thema „Von der Initiative zur Institution: Die Hospizbewegung zwischen lebendiger Begegnung und standardisierter Dienstleistung“ (veröffentlicht Ludwigsburg 2012).

Dr. Dr. Reimer Gronemeyer ist Professor für Soziologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen (Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften). Neben einer Gastprofessur an der IFF ist er Mitglied im wissenschaftlichen Beirat und Stiftungsrat des DHPV (Berlin).

Nach einer Einführung (S. 8-9) gliedert sich das vorliegende Buch in die folgenden zehn Kapitel:

  1. Die Geschichte der deutschen Hospizbewegung: Eine Geschichte von Geschichten (S. 12-23)
  2. Internationale Einflüsse – Die Hospizidee und ihre Pionierinnen: Cicely Saunders und Elisabeth Kübler-Ross (S. 24-57)
  3. Den Boden bereiten – Stimmungslage für Hospiz in den 70er Jahren (S. 58-92)
  4. Motive und Beweggründe der Pionierinnen und Pioniere (S. 94-112)
  5. Die ersten Hospizinitiativen der 80er Jahre (S. 114-186)
  6. Überregionale Initiativen (S. 188-227)
  7. Aids und Hospiz – eine eigene Geschichte (S. 228-263)
  8. Das Hospizkonzept in Deutschland (S. 264-310)
  9. Die Geschichte der Hospizbewegung in Deutschland im ausgewählten Überblick (S. 312-321)
  10. Warum wir heute in Deutschland anders über Sterben, Tod und Trauer reden. Ein Narrativ (S. 322-339).

Ergänzt wird die Darstellung durch vier „Anhänge“ mit Literatur (S. 342-352), den Kurzbiografien der interviewten Pionierinnen & Pioniere (S. 353-370), den Kurzbiografien der Autorinnen und Autoren (S. 371) und einer Liste der geführten Interviews (S. 372-374).

Zur Bedeutung und Intention ihrer Veröffentlichung schreiben die AutorInnen einleitend: „Wir zeichnen hier die Geschichte der Hospizbewegung in Deutschland nach als eine Geschichte auf der Basis von ineinander verwobenen Geschichten der Pioniere und Pionierinnen in Deutschland, im Osten wie im Westen, im Norden und Süden. Immer werden individuelle und lokale, regionale und deutschlandweit unterschiedlich gefärbte und akzentuierte Geschichten erzählt. Es entstehen Bilder, die sich zusammensetzen lassen, zu Motiv- und Erkenntniszusammenhängen. Schließlich entsteht ein Gesamtbild, das sich aus vielen mosaikartigen Porträts zusammensetzt“ (S. 13).

Während im ersten Kapitel („Die Geschichte der deutschen Hospizbewegung“) ein Überblick über das Anliegen und die Entstehung des Buches gegeben wird, spürt das zweite Kapitel („Internationale Einflüsse – Die Hospizidee und ihre Pionierinnen“) den internationalen Einflüssen auf die Hospizidee und ihre Pionierinnen nach, wobei insbesondere das Leben und Wirken von Cicely Saunders (1918-2005) und Elisabeth Kübler-Ross (1926-2004) beleuchtet wird. Darüber hinaus geht es um weitere Einflüsse auf die deutsche Entwicklung der Hospizbewegung, allen voran die Filme „Noch 16 Tage. Eine Sterbeklinik in London“ und „Die letzte Station“, aber auch die Auslandsaufenthalte deutscher Pionierinnen und Pioniere oder entsprechende Publikationen. Das dritte Kapitel („Den Boden bereiten – Stimmungslage für Hospiz in den 70er Jahren“) beschäftigt sich mit der Institutionalisierung des Sterbens in der modernen Medizin, wissenschaftlichen Annäherungen, dem Einfluss der Krankenhausseelsorge sowie der Bedeutung der aufkommenden Euthanasiebewegung für die Entwicklungen. Daneben wird aber auch der Widerstand gegen die Hospizbewegung thematisiert, ebenso wie die „Reife der Zeit“. Im Mittelpunkt des vierten Kapitels („Motive und Beweggründe der Pionierinnen und Pioniere“) stehen die Motive und Beweggründe der interviewten Pionierinnen und Pioniere, wobei deren eigene Betroffenheit von Sterben und Tod als Kernelement des Hospizengagements benannt werden. Im fünften Kapitel („Die ersten Hospizinitiativen der 80er Jahre“) geht es um die ersten Hospizinitiativen der 80er Jahre. Hierbei werden – auch unter Einbeziehung der Situation in Ostdeutschland – nicht nur frühe Initiativen der stationären und ambulanten Hospizarbeit vorgestellt, sondern auch die ersten Palliativstationen und ausdifferenzierte Hospizangebote einschließlich von Bildungs- und Beratungsangeboten sowie Aktivitäten zur finanziellen Förderung der Hospizarbeit. Das sechste Kapitel („Überregionale Initiativen“) stellt verschiedene überregionale Institutionen vor, darunter „Omega – Mit dem Sterben leben e.V.“, die „Internationale Gesellschaft für Sterbebegleitung und Lebensbeistand“ (IGSL), erste Hospizorganisationen auf Landesebene sowie „Wegbereiter für eine bundesweite Dachorganisation“ einschließlich der „Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz e.V.“ (BAG), der „Deutschen Stiftung Hospiz“ und der „Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin“. Das siebte Kapitel („Aids und Hospiz – eine eigene Geschichte“) behandelt die Versorgung aidskranker Menschen innerhalb der Hospizbewegung. Anhand markanter Unterschiede zur allgemeinen Hospizbewegung werden dabei charakteristische Eigenheiten der Bewegung als Ganzes wie auch der Versorgung aidskranker – besonders homosexueller Männer – sowie der Umgang mit HIV zu Beginn des Auftretens dieser Erkrankung herausgearbeitet. Im achten Kapitel („Das Hospizkonzept in Deutschland“) werden die Kernelemente der Hospizidee vorgestellt. Hierbei wird auch auf das Verhältnis von Hospizarbeit und Trauerbegleitung eingegangen, das Verhältnis zwischen Hospizbewegung und Palliativmedizin ausgelotet sowie die Zielgruppen der Hospizversorgung vorgestellt. Das neunte Kapitel („Die Geschichte der Hospizbewegung in Deutschland im ausgewählten Überblick“ führt in tabellarischer Form besondere Ereignisse der deutschen Hospizbewegung chronologisch in Stichpunkten auf. Im zehnten Kapitel („Warum wir heute in Deutschland anders über Sterben Tod und Trauer reden“) wird herausgearbeitet, dass es sich bei der deutschen Hospizbewegung – trotz der internationalen Einflüsse – um ein komplexes Mosaik von Initiativen und Projekten handelt. In diesem Zusammenhang geht es auch um Fragen der zukünftigen Hospizarbeit, wie etwa die Inklusion unabhängig vom sozialen und kulturellen Hintergrund, Geschlechterunterschiede bei der Wahl des Aufenthaltsortes am Lebensende, der Umgang mit Andersartigem und Andersdenkenden, das Spannungsfeld zwischen Gesellschaft und professionellen Angeboten sowie das sinnvolle Maß an Professionalisierung und Verwissenschaftlichung.

Insgesamt betrachtet haben Andreas Heller, Sabine Pleschberger, Michaela Fink und Reimer Gronemeyer mit ihrem wissenschaftlich fundierten und zugleich gut lesbaren Buch eine lebendige Geschichte der Hospizbewegung in Deutschland vorgelegt, die unverzichtbare Orientierungen, Inspirationen und Klärungen für die Weiterentwicklung hospiz-palliativer Arbeit bietet. Im Gegensatz zu einer reinen Literaturarbeit besticht die Veröffentlichung vor allem durch die Vielzahl der wiedergegebenen Zitate aus den Interviews mit den PionierInnen, wodurch sowohl Einzelaspekte als auch die gesamte Entwicklung der deutschen Hospizbewegung gut nachvollziehbar werden. Als Grundlagenwerk enthält das Buch, dem man eine weite Verbreitung wünscht, auch zahlreiche Anregungen für die Aus- und Weiterbildung, weshalb es sowohl den Professionellen und Ehrenamtlichen im Feld als auch allen am Thema Interessierten zur Lektüre wärmstens empfohlen werden kann. Keine Frage, dass es in allen Bibliotheken des Gesundheitswesens vorhanden sein sollte.

Lediglich nebenbei sei auf kleinere Flüchtigkeitsfehler hingewiesen, die bei einer zweiten Auflage behoben werden sollten, darunter etwa im Inhaltsverzeichnis auf Seite 6 die Seitenangaben bei Kapitel 7 (statt Seite 188 richtig: 228 und statt Seite 218 richtig: 230) sowie auf den Seiten 203 und 354 jeweils das falsche Sterbedatum von Christine Denzler-Labisch (statt 2008 richtig: 2009).