
Sahmland, Irmtraut und Kornelia Grundmann (Hrsg.)
Tote Objekte, Lebendige Geschichten
Exponate aus der Sammlung der Philipps-Universität Marburg
Michael Imhof Verlag, Petersberg, 2014, 256 S., 29,00 €, ISBN 978-3-86568-948-1
Tote Objekte, Lebendige Geschichten
Exponate aus der Sammlung der Philipps-Universität Marburg
Michael Imhof Verlag, Petersberg, 2014, 256 S., 29,00 €, ISBN 978-3-86568-948-1
Das Anatomische Museum der Philipps-Universität Marburg, das vor einigen Jahren um eine Geburtsmedizinische Abteilung erweitert wurde, beinhaltet heute etwa 3.000 Präparate: Trocken- und Feuchtpräparate, Gipsplastiken, Gemälde und Zeichnungen, eine Schädelsammlung, eine embryologisch-historische Sammlung, Wachsmodelle sowie eine reichhaltige Instrumentensammlung. Der Grundstock zu dieser Einrichtung, die seit den 1980er Jahren auch der interessierten Öffentlichkeit zugänglich ist und seither – neben Privatpersonen etwa von Auszubildenden der Gesundheits- und Krankenpflege – intensiv als außerschulischer Lernort genutzt wird, wurde bereits vor 200 Jahren gelegt. Zu nennen ist hierbei insbesondere der Anatom und Chirurg Christian Heinrich Bünger (1782-1842), dem ab 1812 – nach der Schließung der Universität Helmstedt und seiner Berufung zum Direktor des Anatomischen Instituts der Marburger Universität – der Aufbau einer Lehrsammlung zu Unterrichts- und Studienzwecken ein besonderes Anliegen war.
Das Jubiläum des Museum Anatomicum am Fachbereich Medizin der Philipps-Universität Marburg bot den willkommenen Anlass, reichhaltige Einblicke in wissenschaftshistorische und kulturelle Aspekte universitärer Sammlungen zu gewähren. Hierzu veranstaltete die Emil-von-Behring-Bibliothek / Arbeitsstelle für Geschichte der Medizin am 23. und 24. November 2012 die interdisziplinäre Tagung mit Sonderausstellung „Tote Objekte – lebendige Geschichten“, an der sich von den 29 noch existierenden universitären Sammlungen in Marburg sieben beteiligten: Das Museum Anatomicum (in Verbindung mit der Geburtsmedizinischen Sammlung), die Zoologische Sammlung, die Antiken- und Abgusssammlung, die Völkerkundliche Sammlung, die Religionskundliche Sammlung, die Pharmakognostische Sammlung sowie die Forschungsstelle für Personalschriften mit ihrer Sammlung der Leichenpredigten.
Die Idee, einzelne Exponate ausgehend von der Anatomie und gemeinsam mit Objekten aus anderen Sammlungen vorzustellen, war auch die Grundlage für das nun von der Medizinhistorikerin Apl. Prof. Dr. Irmtraut Sahmland, Leiterin der Emil-von-Behring-Bibliothek / Arbeitsstelle für Geschichte der Medizin der Philipps-Universität Marburg, und ihrer Kollegin Dr. Kornelia Grundmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Emil-von-Behring-Bibliothek / Arbeitsstelle für Geschichte der Medizin der Philipps-Universität Marburg und Kustodin des Museums Anatomicum und des Behring-Archivs der Universität, herausgegebene Buch „Tote Objekte – lebendige Geschichten“, zu dessen Bedeutung und Intention es im Vorwort heißt: „Diese themenbezogene Kooperation konnte in beeindruckender Weise die Vielfalt der in den Marburger Sammlungen vorhandenen Kulturgüter präsentieren und bot gleichzeitig die Gelegenheit, eine neue Form der fakultätsübergreifenden Interaktion auszuprobieren. Um dies zu unterstreichen, sind in diesem Band die Beiträge über die vorgestellten Exponate der verschiedenen Sammlungen nicht additiv aneinander, sondern, soweit dies möglich erschien, thematisch geordnet“ (S. 8).
Neben dem Vorwort der Herausgeberinnen enthält der umfangreiche Sammelband die folgenden Beiträge:
• Gerhard Aumüller: Der Weg der Marburger Anatomischen Sammlung zum Medizinhistorischen Museum (S. 12-22)
1. Anatomische Objekte in verschiedener Perspektive
• Gerhard Aumüller: Was können uns die Präparate Christian Heinrich Büngers heute noch sagen? (S. 23-37)
• Reinhard Hildebrand: Das Herz im Glas – Ein anatomisch kulturgeschichtlicher Blick auf die materielle Seele des lebenden Körpers (S. 38-54)
• Kornelia Grundmann: […] durch das Schwert vom Leben zum Tode bringen […] – Schädel und Totenmasken von hingerichteten Verbrechern in der Marburger Anatomischen Sammlung (S. 55-77)
• Hans Wilhelm Bohle: Das Marburger Elefantenskelett: Seine Geschichte als Teil einer Geschichte der Vergleichenden Anatomie zwischen Medizin und Zoologie (S. 78-95)
• Gerhard Aumüller: Was können uns die Präparate Christian Heinrich Büngers heute noch sagen? (S. 23-37)
• Reinhard Hildebrand: Das Herz im Glas – Ein anatomisch kulturgeschichtlicher Blick auf die materielle Seele des lebenden Körpers (S. 38-54)
• Kornelia Grundmann: […] durch das Schwert vom Leben zum Tode bringen […] – Schädel und Totenmasken von hingerichteten Verbrechern in der Marburger Anatomischen Sammlung (S. 55-77)
• Hans Wilhelm Bohle: Das Marburger Elefantenskelett: Seine Geschichte als Teil einer Geschichte der Vergleichenden Anatomie zwischen Medizin und Zoologie (S. 78-95)
2. Patientengeschichte(n) am Objekt
• Rita Amedick: Hungerleider beim Festmahl. Darstellungen fehlgebildeter Menschen in der antiken Kunst (S. 96-107)
• Patrick Sturm: Leiden – Lernen – Heilen. Leichenpredigten als medizinhistorische Quelle (S. 108-124)
• Irmtraut Sahmland: Das Elend der menschlichen Kreatur: das hockende Skelett in der Anatomischen Sammlung der Philipps-Universität Marburg (S. 125-151)
• Rita Amedick: Hungerleider beim Festmahl. Darstellungen fehlgebildeter Menschen in der antiken Kunst (S. 96-107)
• Patrick Sturm: Leiden – Lernen – Heilen. Leichenpredigten als medizinhistorische Quelle (S. 108-124)
• Irmtraut Sahmland: Das Elend der menschlichen Kreatur: das hockende Skelett in der Anatomischen Sammlung der Philipps-Universität Marburg (S. 125-151)
3. Objekte im geburtshilflichen Kontext
• Ulrike Enke: Josef Benedikt Kurigers embryologische Wachstafel nach Soemmerring im Museum Anatomicum Marburg (S. 152-175)
• Marita Metz-Becker: Die „Kaisergeburtsgeschichte“ der Maria Sophia Dickschedt (1782). G.W. Steins Kaiserschnittbistouri im Marburger Museum Anatomicum (S. 176-188)
• Ulrike Enke: Josef Benedikt Kurigers embryologische Wachstafel nach Soemmerring im Museum Anatomicum Marburg (S. 152-175)
• Marita Metz-Becker: Die „Kaisergeburtsgeschichte“ der Maria Sophia Dickschedt (1782). G.W. Steins Kaiserschnittbistouri im Marburger Museum Anatomicum (S. 176-188)
4. Objekte der Heilkunde in anderen Weltreligionen
• Katja Triplett: Magische Medizin? Kultur- und religionswissenschaftliche Perspektiven auf die tibetische Heilkunde (S. 189-205)
• Barbara Rumpf-Lehmann: Pfeilgift aus Afrika als Herzmittel. Zur Geschichte der Droge Strophanthus (S. 206-220)
• Dagmar Schweitzer de Palacios: Die Macht liegt in den Werkzeugen. Andine Heiler und ihre Heilaltäre (S. 221-238)
• Dries Bargheer: Schädelkult in der pazifischen Südsee – Untersuchung des Dayaken-Schädels aus dem Marburger Museum Anatomicum (S. 239-249)
• Katja Triplett: Magische Medizin? Kultur- und religionswissenschaftliche Perspektiven auf die tibetische Heilkunde (S. 189-205)
• Barbara Rumpf-Lehmann: Pfeilgift aus Afrika als Herzmittel. Zur Geschichte der Droge Strophanthus (S. 206-220)
• Dagmar Schweitzer de Palacios: Die Macht liegt in den Werkzeugen. Andine Heiler und ihre Heilaltäre (S. 221-238)
• Dries Bargheer: Schädelkult in der pazifischen Südsee – Untersuchung des Dayaken-Schädels aus dem Marburger Museum Anatomicum (S. 239-249)
Ergänzt wird die Darstellung durch einen Anhang mit „Informationen über die beteiligten Sammlungen der Philipps-Universität Marburg“ (S. 250-254) und Hinweisen über die „Autorinnen und Autoren“ (S. 255-256).
Ausgehend von der Anatomischen Sammlung der Philipps-Universität Marburg und in Verbindung mit den weiteren beteiligten Sammlungen präsentiert der durchgängig mit qualitativ hochwertigen Farbabbildungen ausgestattete Band, dessen Drucklegung mit Unterstützung der „Von-Behring-Röntgen-Stiftung“ realisiert wurde, ein breites Spektrum von Exponaten und Präparaten und stellt sogleich deren vielfältigen Hintergründe vor. Beginnend im lokalen und regionalen Bezugsrahmen, öffnet sich dabei der Blick sowohl in der historischen Perspektive wie in der geographischen Dimension, die auf nahezu alle anderen Kontinente ausgreift. Insgesamt betrachtet erlaubt der sehr gelungene und äußerst lesenswerte Band, der sich zugleich als ein Beitrag zur aktuellen Diskussion über den Wert des Sammelns und die damit verbundenen ethischen Fragen des Umgangs mit und der Präsentation von solchen toten Objekten versteht, eine spannende Reise in die Geschichte der Marburger Sammlungen und die Welt der Wissenschaft.
Eine Rezension von Dr. Hubert Kolling