Die Geschichte der gelben Häuser – 125 Jahre Sächsisches Krankenhaus Rodewisch

die geschichte der gelben häuserMaria Rank, Kerstin Eisenschmidt
Die Geschichte der gelben Häuser
125 Jahre Sächsisches Krankenhaus Rodewisch

Herausgegeben vom Sächsischen Krankenhaus Rodewisch, Zentrum für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie. [Selbstverlag]: [Rodewisch] [2018], Festeinband, 256 Seiten, 25,00 Euro, (ohne ISBN)

Das Sächsische Krankenhaus Rodewisch, Zentrum für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie ist ein Fachkrankenhaus mit den Schwerpunkten Psychiatrie und Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Neurologie und Forensische Psychiatrie (https://www.skh-rodewisch.sachsen.de/startseite/). Die in Trägerschaft des Freistaats Sachsen stehende Einrichtung wurde am
25. Juli 1893 als „Königlich Sächsische Landes-, Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke zu Untergöltzsch“ feierlich eingeweiht und eröffnet, wobei sie heilbare und unheilbare Kranke aus den seinerzeitigen Amtshauptmannschaften Plauen, Oelsnitz, Auerbach, Zwickau und Schwarzenberg aufnahm. Aufgrund zunehmender Überfüllung der bis dahin bestehenden Landesanstalten hatte der Landtag in Dresden in der Legislaturperiode 1888/89 den Bau einer neuen Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke beschlossen, für deren Standortwahl die damals noch unzureichende psychiatrische Versorgung im Erzgebirge und im Vogtland
ausschlaggebend war.

Anlässlich seines 125-jährigen Jubiläums im Jahre 2018 gab das Sächsische Krankenhaus Rodewisch das Buch „Die Geschichte der gelben Häuser“ heraus.
Maria Rank, Marketing-Chefin des Krankenhauses, und ihre Kollegin Kerstin Eisenschmidt zeichnen darin die Entwicklung der Einrichtung von ihrer Entstehung bis in die Gegenwart nach, wobei sie insbesondere den Wandel der Psychiatrie von einer Verwahranstalt zu einem Fachkrankenhaus beziehungsweise die Wahrnehmung der Patient*innen von „Irren“ zu psychisch Kranken in Wort und Bild herausarbeiten. Der gewählte Buchtitel war naheliegend, indem das Sächsische Krankenhaus Rodewisch in der Region von der Bevölkerung – damals wie heute – zumeist als „Die gelben Häuser“
bezeichnet wird.

Zur Bedeutung und Intention ihrer Veröffentlichung, die chronologisch aufgebaut und in zehn Kapitel gegliedert ist, schreiben die Autorinnen im Vorwort: „Schon mit Beginn der Recherche stellten wir fest, dass es nahezu unmöglich ist, alle interessanten Details in diesem Buch zu erwähnen. Wichtig war uns, keine trockenen Fakten niederzuschreiben, sondern vielmehr die Entstehung und Entwicklung der Klinik mit vielen Bildern, Anekdoten von Zeitzeugen, erstaunlichen – und teilweise sogar amüsanten – Aktenfunden greifbar zu machen“ (S. 5). Als Quellen dienten ihnen dabei unter anderem die im Haus vorhandenen Dokumente, die teilweise bis ins Gründungsjahr zurückreichen, Unterlagen vom Sächsischen Staatsarchiv Leipzig sowie Berichte
von Mitarbeiter*innen.

Insgesamt betrachtet haben Maria Rank und Kerstin Eisenschmidt ein sehr ansprechendes, mit Abbildungen – seien es nun zeitgenössische und aktuelle Baupläne, Fotos, Dokumente oder Graphiken – üppig ausgestattetes Werk vorgelegt, in dem auch die „dunklen Jahre“ der Einrichtung nicht verschwiegen werden. So wurden beispielsweise, wie die Darstellung zeigt, im Ersten Weltkrieg, Ende 1917, alle Patienten der Anstalt Untergöltzsch auf die übrigen Einrichtungen Sachsens verteilt, weil die Militärverwaltung das Haus als Reservelazarett beanspruchte. Über den Alltag in Rodewisch während der NS-Zeit ist, wie die Autorinnen bemerken, nur wenig bekannt, weil Mitarbeiter nicht darüber sprachen und Unterlagen vernichtet wurden. Nachweislich seien aber auch in den „gelben Häusern“ ein großer Teil der Patienten 1940 und 1941 Opfer der „Aktion T4“ und in der NS-Tötungsanstalt Sonnenstein bei Pirna ermordet worden, während man andere zwangssterilisieren und verhungern ließ. Selbst in der Nachkriegszeit sei die Unterbringung unmenschlich gewesen, indem psychiatrisch geschultes Personal rar war und die Patienten nur verwahrt statt therapiert wurden. Eine Wende sei erst 1963 mit den „Rodewischer Thesen“ gekommen. Wie Maria Rank und Kerstin Eisenschmidt schreiben, wurden dort erstmals „die zentralen Gedanken der deutschen Psychiatrie-Debatte formuliert, die auch die Entwicklung der Sozialpsychiatrie in der Bundesrepublik Deutschland beeinflussten“ (S. 170). Dennoch seien die Bedingungen zu DDR-Zeiten weiterhin schwierig geblieben. „Trostlosigkeit hinter vergitterten Fenstern“ habe selbst noch ein Zeitungskommentar aus dem Jahr 1992 konstatiert.

Informationen über das Pflegepersonal sind eher spärlich, wobei sie sich, entsprechend dem Aufbau des Buches, an den verschiedensten Stellen finden. Für die zur Aufnahme von 400 Geisteskranken im Landtag genehmigte Heil- und Pflegeanstalt Untergöltzsch, die 1893 im Pavillon-Stil mit fünfzehn Gebäuden gebaut wurde, waren anzustellen: „1 Direktor, 1 Geistlicher, 1 Lehrer, 4 Ärzte, 3 Beamte, 3 Expedienten und gegen 100 Pfleger und Wärter“ (S. 12). Ende des 19. Jahrhunderts standen für 487 Kranke – davon 433 aus der unteren Klasse, 32 aus der oberen Klasse und 22 Pensionäre – insgesamt 107 Pflegekräfte zur Verfügung, von denen 53 Frauen (5 Oberschwestern, 22 Schwestern, 9 Hilfsschwestern, 17 Hilfswärterinnen) und 54 Männer
(2 Oberpfleger, 47 Pfleger, 5 Hilfspfleger) waren. Dabei standen für die 433 Patienten der unteren Klasse 86 Pflegekräfte zur Verfügung, was einem Pflegeschlüssel von 1 : 5 ergab. Demgegenüber wurden die 54 Pensionäre und Kranken der oberen Klasse von 21 Pflegekräften betreut, was einem Pflegeschlüssel von 1 : 2,6 entsprach (S. 34).

Entsprechend der Verordnung vom 24. Mai 1899 über die Dienstkleidung für „Wärterinnen, Hilfswärterinnen und Wärter in den Landes-Heil- und Pflegeanstalten sowie in den Erziehungsanstalten“, die die Dienstkleidung für alle sächsischen Anstalten als verbindlich erklärte, trugen – wie etwa auf den Abbildungen der Seiten 30, 31 und 57 deutlich zu erkennen ist – die Pflegerinnen eine feste Kleiderschürze, die Pfleger eine Uniform-Jacke und Schirmmütze. Aufschlussreich für die Bezahlung des Pflegepersonals ist der Hinweis, wonach laut einer Mitteilung des Sächsischen Innenministeriums vom 30. Juni 1902 das Gehalt des Oberpflegers Hermann Backofen zum 1. Juli 1902 „auf den Betrag von jährlich 1.800 Mark erhöht“ (S. 45) wurde.

Für die insbesondere an der Pflegegeschichte interessierte Leserschaft des Buches dürfte auch der Auszug aus dem Arbeitsvertrag einer Pflegerin zu Beginn des 20. Jahrhunderts interessant sein, in dem es heißt: „Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, daß Sie dem Könige treu und gehorsam sein, die Gesetze des Landes und die Landesverfassung streng beobachten, das ihnen übertragene Amt einer wirklichen Pflegerin an der Landesanstalt Untergöltzsch sowie jedes künftig Ihnen zu übertragende Amt und jede Verrichtung im öffentlichen Dienste, unter genauer Befolgung der gesetzlichen Vorschriften und den Anordnungen Ihrer Vorgesetzten gemäß nach Ihrem besten Wissen und Gewissen verwalten und sich allenthalben so betragen wollen, wie es einem treuen, redlichen und gewissenhaften Staatsdiener gebührt“ (S. 46).

Zu den konkreten zeitgenössischen Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals geben die Autorinnen unterdessen nur den knappen Hinweis, dass laut einer Mitteilung des Innenministeriums vom 6. Februar 1919 den Pflegern, die nicht in der Anstalt Mittag aßen, „tunlichst eine anderthalbstündige Mittagspause“ gewährt werden und „die Zeit, welche die Pfleger in der Anstalt dienstlich zubringen, in Zukunft wöchentlich im Durchschnitt nicht die Gesamtsumme von achtzig Stunden“ (S. 59) überschreiten sollte.

Bezugnehmend auf die (medizinische) Dissertation von Christine Wagner „Psychiatrie und Nationalsozialismus in der Sächsischen Landesheil- und Pflegeanstalt Untergöltzsch“ (Dresden 2002) finden sich über die Rolle des Pflegepersonals in der NS-Zeit lediglich die folgenden Angaben: „Trotz knapper materieller Ausstattung bemühte sich das Personal, die ihnen anvertrauten Kranken nach dem damaligen Wissensstand gut zu versorgen. Dazu dienten in erster Linie Arbeits-, Beschäftigungs- und Milieutherapie sowie Beruhigungsmittel (medikamentös und
mechanisch)“ (S. 73).

Ende der 1950er Jahre war neben einem Ärztehaus auch ein Schwesternwohnheim erbaut worden. Über das unter pflegehistorischen Gesichtspunkten wichtige Bauwerk heißt es in einer zeitgenössischen Beschreibung: „Ein kleiner Hörsaal, fachspezifisches Anschauungs- und Unterrichtsmaterial sowie Einzelzimmer und Gemeinschaftsräume werden den angehenden Schwestern übergeben. […] Der Neubau trägt entscheidend zur Konzentrierung und Verbesserung des Fachunterrichtes bei, zumal seit 1963 ständig Schwesternschülerinnen im Rahmen ihrer Fachausbildung zum Praktikum in der Klinik weilen. Außerdem ist mit der Erweiterung der Wohnraumkapazität eine wichtige Voraussetzung zur Gewinnung von Stammpersonal erfüllt“ (S. 113).

In ihrer Darstellung lassen Maria Rank und Kerstin Eisenschmidt auch mehrere Pflegende zu Wort kommen, wobei deren Ausführungen – über die Bedeutung für das Sächsische Krankenhaus Rodewisch hinaus – wichtige Dokumente für die historische Pflegeforschung sind. So berichtet Hanna Gotter, die von 1957 bis 2000 als Krankenschwester im Sächsischen Krankenhaus gearbeitet hat, davon 33 Jahre auf der Aufnahmestation für Frauen: „Angefangen habe ich als Stationshilfe, wurde dann Pflegerin und später Hilfsschwester bis ich die Ausbildung zur Krankenschwester abgeschlossen hatte und stolz meine Sieben-Falten-Haube tragen durfte. Krankenschwester zu sein bedeutete früher, dass man alles gemacht hat auf Station. Wir haben Fenster geputzt und sauber gemacht, aber vor allem haben wir durch den längeren Aufenthalt der Patientinnen deren Familie ersetzt.“ (S. 157). Ebenso sagt Volker Kuhn: „Ich habe bereits Ende der 70er Jahre als Hilfspfleger gearbeitet. […] 1982 begann ich meine Ausbildung als Facharbeiter für Krankenpflege. Die Zustände in den 80er Jahren waren – gelinde gesagt – katastrophal. Zwar waren die Gitter an den Stationen ab, aber die Türen immer noch geschlossen. […] Innerhalb der Mitarbeiter war der Zusammenhalt sehr groß und das Arbeitsklima gut. Wir haben immer versucht, das Beste aus der damaligen Situation zum Wohle der Patienten herauszuholen.“ (S. 197).

Wer sich für die Psychiatriegeschichte im Allgemeinen und das Sächsische Krankenhaus Rodewisch im Besonderen interessiert, kann die Chronik über „Die Geschichte der gelben Häuser“ gewinnbringend zur Hand nehmen. Wie die vorstehenden Beispiele zeigen, enthält die Darstellung zum 125-jährigen Jubiläum der Institution dabei auch immer wieder Informationen für ein speziell an der Pflegegeschichte
interessiertes Lesepublikum.

Eine Rezension von Dr. Hubert Kolling