Ein Jahrhundert Nächstenliebe – Das St. Marien-Krankenhaus in Welschen Ennest

Angela Rodriguez, Mechthild Velber
ein jhrhundert nächstenliebeEin Jahrhundert Nächstenliebe
Das St. Marien-Krankenhaus in Welschen Ennest
Ein Beitrag zur Heimatgeschichte des Ortes

Selbstverlag. Köln, Siegen 2018, 159 Seiten, broschiert, 15,00 Euro, ISBN 978-3-00-060766-0

Das Ortsbild von Welschen Ennest, einem kleinen Dorf, das heute zur Gemeinde Kirchhundem im Kreis Olpe (Nordrhein-Westfalen) gehört, wurde ein Jahrhundert lang durch sein St. Marien-Krankenhaus geprägt. Im Jahre 1888 hatten der Welschen Ennester Kaufmann Johann Heinrich Limper (1818-1890) und seine Ehefrau Theresia Kayser (1829-1919) der Kirche zu Rahrbach (heute ein Dorf im Westen der Gemeinde Kirchhundem) testamentarisch ein Krankenhaus für Arme und Bedürftige vermacht, das neben einem Operationssaal über zehn belegbare Betten – verteilt in Ein- und Zweibettzimmer – verfügte. Einst Anlaufpunkt für kranke Menschen von nah und fern, erfuhr es im Laufe der Zeit unterschiedliche Nutzungen, bis das Gebäude schließlich im Jahre 1991 – entgegen massiver Proteste – abgerissen wurde. Seither geriet die für das Dorf einst bedeutende soziale Einrichtung, an die sich lediglich noch die ältere Generation erinnern kann, zusehends in Vergessenheit.

Dies hat sich nun geändert, indem Mechtild Velber, geborene Limper, und Angela Rodriguez, geborene Becker, unter dem ansprechenden Titel „Ein Jahrhundert Nächstenliebe“ ein rund 160 Seiten starkes Buch vorgelegt, in dem sie die wechselvolle Geschichte des Welschen Ennester St. Marienkrankenhauses von seiner Entstehung bis zum Abriss aufgearbeitet haben. Bei ihren Ausführungen stützen sich die Autorinnen, die beide aus Welschen Ennest stammen und im Marien-Krankenhaus „bei Hebamme Frau Hirsch“ das Licht der Welt erblickten und heute als Lehrerinnen in Köln beziehungsweise Siegen arbeiten, neben zeitgenössischen Veröffentlichungen vor allem auf Archivalien aus den Pfarrarchiven Rahrbach und Kirchhundem, dem Gemeindearchiv Kirchhundem, dem Stadtarchiv Lennestadt, dem Archiv des Erzbischöflichen Generalvikariat in Paderborn sowie dem Archiv der Armen Franziskanerinnen zur ewigen Anbetung in Olpe. Ihre so gewonnenen Erkenntnisse konnten sie darüber hinaus durch mündliche Quellen – darunter mit einer 103-jährigen Zeitzeugin – ergänzen.

Das ortsbildprägende Haus aus der Gründerzeit wurde bis zu seinem Abriss nacheinander als Krankenhaus, Familienwerk des Erzbistums und Wohnhaus des Ketteler-Cardijn-Werks für Langzeitarbeitslose genutzt, wie die in sieben Haupt- und etliche Nebenkapitel untergliederte und durch zahlreiche Schwarzweiß- und Farbabbildungen illustrierte Darstellung anschaulich zeigt. Wie Mechtild Velber und Angela Rodriguez darlegen, kannte der wohlhabende Kaufmann Johann Heinrich Limper, der mit 43 Jahren auch Gemeindevorsteher und Bürgermeister der Gemeinde Rahrbach wurde, über seine Geschäftsbeziehungen, Privatkontakte und als Amtsträger die soziale Lage der Menschen in der Gemeinde hinsichtlich Krankheit, Bedürftigkeit und Armut, (Aus-)Bildung, Wohnsituation und auch privater Probleme. Dabei habe ihm nachweislich daran gelegen, „im Interesse der Bedürftigen, Benachteiligten und Kranken ‚nachhaltig‘ zu handeln. Das heißt, seine Stiftungen und die seiner Ehefrau waren nicht nur auf momentane Nothilfe angelegt. Die Zinserträge des jeweiligen finanziellen Grundstocks der Stiftung sollten langfristig für Unterstützung und Erleichterung sorgen“
(S. 13). Dem Stifterehepaar, das im katholischen Glauben überzeugt verankert, „eher bescheiden und zurückhaltend“ war und „weder sein soziales Engagement noch sein Vermögen zur Schau gestellt“ hat, sei es aufgrund ihres Glaubens ein Bedürfnis gewesen, „etwas zum ‚größten Ruhme Gottes‘ zu tun.“

Neben den Motiven des Stifterehepaares lohnt bei der Lektüre des vorliegenden Buches unter pflegehistorischer Perspektive vor allem das dritte Kapitel (S. 84-90), in dem es um die Betreuung und Pflege durch die Armen Franziskanerinnen zur Ewigen Anbetung aus Ope geht. Die katholische Orientierung des St. Marien-Krankenhaus in Welschen Ennest war nicht nur testamentarisch, sondern auch verwaltungs- beziehungsweise vertragsrechtlich gegeben, wie ein Blick in Paragraph vier der betreffenden Statuten zwischen der Kirchenverwaltung Rahrbach und dem Erzbischöflichen Generalvikariat Paderborn zeigt. Demnach musste „die leibliche Pflege der Kranken […] durch Schwestern einer römisch-katholischen Ordensgemeinschaft, deren Mitglieder sich der Krankenpflege widmen, besorgt“ werden. Der Bedarf an Pflege konnte dabei, wie die Autorinnen berichten, „nicht nur bei Krankheit, sondern auch bei Pflegebedürftigkeit durch Altersschwäche, Armut oder auch Niederkunft durch „die selbstlosen katholischen Franziskanerinnen aus Olpe ab den Gründerjahren gedeckt werden“ (S. 84). Ab der Inbetriebnahme 1892, der „Einsegnung“ und feierlichen Einführung, hätten anfangs drei Schwestern „die bedarfsgerechte Einrichtung, innerhäusliche Organisation und die erforderlichen hauswirtschaftlichen und pflegerischen Arbeiten“ übernommen. Während die Einrichtung zunächst hauptsächlich als Altersheim gedient habe, hätten die Schwestern – neben der Pflege im Hause – auch die ambulante Krankenpflege ausgeübt und von Anfang an eine Näh- und Handarbeitsschule wie auch eine Kleinkinderbewahrschule unterhalten.

Im Hinblick auf die Pflege stellen Mechtild Velber und Angela Rodriguez fest, dass die Schwestern über „eine entsprechende Vorbildung“ verfügten. Die stationäre Pflege habe zunächst die alltägliche Versorgung von Alten und Gebrechlichen, später ebenso Krankenversorgung, OP-Assistenz und Geburtshilfe umfasst. Zur Pflege hätten auch Nachtwachen und christliche Sterbebegleitung gehört, ebenso wie die notwendigen Formalitäten im Todesfall. Zur ambulanten Pflege oder Nachsorge Ortsansässiger oder zur Notfallversorgung bei Unfällen seien die Schwestern noch in den 1950er und 1960er Jahren gerufen worden. Zudem sei eine bestimmte Schwester immer für die ambulante Pflege beziehungsweise Versorgung zuständig gewesen. Diese „ambulante Nonnenfeuerwehr“ sei, so die Autorinnen, ein großer Gewinn für die Gemeinde gewesen, zumal bis dato Ärzte im angrenzenden Siegerland und im Raum Kirchhundem und Altenhundem aufgesucht werden mussten. Dementsprechend könne bis heute noch fast jeder alteingesessene Haushalt in Welschen Ennest von den „ambulanten Nonnen in ihrem schwarzen Habit mit weißer Stirnhaube und Holzrosenkranz und ihren Wohltaten berichten bzw. ‚Dönekes‘ reden“ (S. 86).

Nach der Darstellung von Mechtild Velber und Angela Rodriguez zeigten sich sowohl katholisches Glaubensleben im Allgemeinen, kirchliche Vorgaben und Erfordernisse als auch die Ordensregeln und Prinzipien der Franziskanerinnen in der Gestaltung des Hauses, der Haltung bei der Arbeit, den Umgangsformen mit und zwischen allen Betroffen. Die durch die Krankenschwestern damals geleistete Arbeit lässt sich mit den Tätigkeiten des heutigen Pflegepersonals unterdessen nur schwer vergleichen: „Die Nonnen mussten all die Jahre Mehrfachaufgaben im Haus übernehmen und waren für diese Bereiche verantwortlich. So gab es verschiedene Zuständigkeiten für die Küche und Verpflegung, Wäsche, den Garten, das Gewächshaus, den Stall und die Haustiere, die Kapelle, den medizinischen Bereich, Reparaturen, Verwaltungsschrifttum, Rechnungslegung und Ablaufroutine, Personal, den seelsorgerischen Kontakt mit dem Pastor…“ (S. 90). Allerdings hätten Hausmeistertätigkeiten, Küchenarbeit, Putzen und Sauberhalten des Geländes auch Angestellte und Hilfskräfte aus dem Ort oder Nachbarorten erledigt.

Wie die Autorinnen in ihrer Einführung schreiben, möchten sie mit ihrer Veröffentlichung „dem Vergessen entgegenwirken, den älteren Generationen Erinnerungen vor Augen führen, einer historisch interessierten jüngeren Generation eine Vorstellung vermitteln, den Nutzen des Hospitals für den Ort und seine Umgebung aufzeigen und letztlich die Gründe für die Auflösung und den Abriss des Hospitals ansprechen“ (S. 8). Diesem Anspruch werden Mechtild Velber und Angela Rodriguez in jeder Beziehung gerecht. Mit ihrem Buch „Ein Jahrhundert Nächstenliebe“, mit dem sie nicht nur einen lebendigen und exakten Einblick in die Historie des Gebäudes geben, sondern auch die darin wirkenden Personen in Erinnerung rufen, haben sie einen wichtigen Beitrag zur Lokal- und Regionalgeschichte geleistet, der auch für alle an der Pflegegeschichte Interessierten
lesenswert ist.

Eine Rezension von Dr. Hubert Kolling