Getroffen–Gerettet–Gezeichnet. Sanitätswesen im Ersten Weltkrieg

Getroffen Gerettet Gezeichnet. Sanitätswesen im Ersten WeltkriegGetroffen–Gerettet–Gezeichnet
Sanitätswesen im Ersten Weltkrieg

Eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs und der Sanitätsakademie der Bundeswehr, München, 18. Oktober bis 18. November 2018 (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns, Nr. 60). Redaktion: Christian Kruse unter Mitarbeit von Claudia Pollach und Karin Hagendorn. [Selbstverlag] Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns. München 2018, 195 Seiten, Festeinband, ISBN 978-3-938831-86-1, 20,00 Euro

Mit dem Waffenstillstand im November 1918 endete der Erste Weltkrieg. Zur 100. Wiederkehr des Kriegsendes nahm sich das Bayerische Hauptstaatsarchiv in München mit einer dritten großen Ausstellung – nach „Krieg! Bayern im Sommer 1914“ (2014) und „Verbündet. Bayern und Bulgarien im Ersten Weltkrieg“ (2017) – erneut dem Thema an. Im Zentrum der zusammen mit der Sanitätsakademie der Bundeswehr (München) konzipierten Schau „Getroffen – Gerettet – Gezeichnet. Sanitätswesen im Ersten Weltkrieg“ mit ihren rund 150 Exponaten standen dabei die Opfer und ihre Helfer, wobei sowohl das Leid der Verwundeten wie auch die Leistungen der Ärzte, Krankenpfleger und -schwestern gewürdigt wurden.

Die in fünf Abschnitte untergliederte Ausstellung, die in der Zeit vom 18. Oktober bis 18. November 2018 in den Ausstellungsräumen des Bayerischen Hauptstaatsarchivs zu sehen war, beleuchtete zunächst den Weg in den Ersten Weltkrieg, griff sodann die Leiden der Kriegsteilnehmer an Körper und Seele auf und zeichnete den Transport der Verwundeten von der Front in die Heimat nach, bevor sie das Sanitätswesen in ausgewählten Lebensbildern würdigte und schließlich dem Schicksal der Versehrten nach dem Krieg nachging. Neben vier angebotenen Begleitvorträgen im Hörsaal des Bayerischen Hauptstaatsarchivs erschien zu der Ausstellung auch der vorliegende, reich bebilderte Katalog mit vier einleitenden Aufsätzen.

Dr. Margit Ksoll-Marcon, Generaldirektorin der Staatlichen Archive, hat zu der Veröffentlichung ein Geleitwort geschrieben, in dem sie zunächst kurz die Dimension des Ersten Weltkriegs skizziert und dann auf die mit der Ausstellung verbundene Intention zu sprechen kommt, wozu sie festhält: „Das Schicksal des Einzelnen rückt ins Zentrum der Betrachtung. Krieg bedeutet immer Leid an Leib und Seele, das Ertragen von Verwundung, Krankheit und Invalidität für die Soldaten aber auch für das Sanitätspersonal, die Ärzte und Helfer“ (S. 7).

In ihrem Beitrag „Militär, Medizin und Sanitätsdienst am Vorabend des Krieges“ (S. 13-24) gehen Volker Hartmann und Mirko Urbatschek der Frage nach, wie das Sanitätswesen auf den Ersten Weltkrieg vorbereitet war, wie auf den Kriegsausbruch reagiert wurde und ob es Veränderungen nach den ersten verlustreichen Kämpfen im Herbst 1914 gab? Wie die Autoren zeigen, war die sanitätsdienstliche Planung einseitig auf den unmittelbaren Erfolg ausgerichtet, die alternative Möglichkeiten nicht vorsah. Getrübt durch den Blick auf das äußerst hohe medizinisch-technische und fachlich-therapeutische Niveau der Zeit, auf eine vermeintliche Humanisierung der Waffentechnik und falsche Schlussfolgerungen aus den Kriegen der Vergangenheit seien zu optimistische Lagebeurteilungen entstanden: „Die schiere Anzahl und die Art der Verwundungen im Kriege sollten jedoch jede Vorstellung übertreffen und machten die Diskrepanzen des medizinischen Fortschritts zu der tatsächlich leistbaren medizinischen Versorgung von Massenheeren offenkundig“ (S. 24).

In ihrem Beitrag „Sanitätswesen im Ersten Weltkrieg: Auf der Suche nach archivalischen Quellen“ (S. 25-36) spürt Martina Haggenmüller einschlägigen Quellen in Archiven nach und zeigt, welche Archive relevantes Schriftgut erwarten lassen und zu welchen inhaltlichen Aspekten die Unterlagen Informationen bieten. Nach Darstellung der Autorin ist ein zentraler Bestand zur Erforschung des Sanitätswesens im Ersten Weltkrieg die Überlieferung des Kriegsministeriums, insbesondere der Punkt „Militärsanitätswesen“ mit seinen fünf Unterpunkten „Sanitätskorps“, „Friedenssanitätswesen“, „Lazarettdienst“, „Kriegssanitätswesen“ und „Zivilstaatliches Medizinalwesen“. Im Hinblick auf die Pflegegeschichte komme den kirchlichen Archiven und hier wiederum den Ordensarchiven eine besondere Bedeutung zu. Für das Sanitätswesen seien dabei vor allem jene Orden und Gemeinschaften von Interesse, die sich in den Dienst der Krankenpflege gestellt haben und somit auch in Lazaretten, entweder an der Front oder in der Heimat, tätig waren. Insgesamt betrachtet würden die zahlreichen Archive „umfangreiches und vielfältiges Material“ zum Thema Sanitätswesen im Ersten Weltkrieg mit all seinen Facetten überliefern. Da hinsichtlich der Auswertung der Quellen „das ihnen innewohnende Potential bislang bei weitem noch nicht erschöpfend ausgewertet wurde“, böten die Archive auch für die Zukunft reiche Forschungsmöglichkeiten für das genannte Thema.

Unter der Überschrift „Wer das nicht mitgemacht hat, kann sich keinen Begriff davon machen“ (S. 37-48) beleuchtet Johannes Moosdiele-Hitzler das Thema Verwundung und Sanitätsdienst im Spiegel der Quellen, wobei in seinem Beitrag insbesondere Opferschicksale und das Sanitätspersonal größeren Raum einnehmen. Wie der Autor zeigt, traten zu den „klassischen“ Verwundeten durch Artillerieund Infanteriegeschosse im Ersten Weltkrieg durch den Einsatz chemischer Waffen ab 1915 Gasverletzungen als neue Verwundungsform auf. Der Weg eines Verwundeten war unterdessen in der Kriegs-Sanitätsordnung (K.S.O.) vom 27. Januar 1907 genau festgelegt: Als erster Anlaufpunkt diente ein Verbandplatz oder ein Sanitätsunterstand, an die sich eine Kette von immer besser ausgestatteten und immer weiter aus der Gefahrenzone heraus führenden Hilfsstationen anschloss (Hauptverbandplatz – Feldlazarett – Reservebzw. Vereinslazarett). Als Spezialistinnen auf dem Gebiet der Krankenpflege seien beispielsweise die Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul aus dem Mutterhaus München während des Krieges sowohl in Reserveund Vereinslazaretten, als auch in Kriegsund Feldlazaretten sowie Lazarettzügen im Einsatz gewesen: „Zahlreiche Tagebücher, Briefe und Memoiren“, so der Autor, „geben Aufschluss über ihren harten und aufopfernden Dienst, der von unzähligen Widrigkeiten begleitet und behindert wurde“ (S. 47).

In ihrem Beitrag „Darin liegt für die Ärzte der Segen des Krieges...“ (S. 49-60) setzen sich André Müllerschön und Ralf Vollmuth kritisch mit der Rolle des Krieges und seiner Bedeutung für den medizinischen Fortschritt auseinander. Dabei legen sie anhand von vier Beispielen des medizinischen Fortschritts – der Transfusionsmedizin und Radiologie sowie der Mund-, Kieferund Gesichtschirurgie und der Orthopädie – dar, dass die Medizin zwar sehr wohl vom Krieg profitierte, sich gleichwohl eine positive Konnotation des Krieges als Fortschrittsmotor aber verbietet. Nach Ansicht der Autoren ist die Auffassung, der Erste Weltkrieg sei eben nicht nur destruktiv und zerstörerisch, sondern für den Aufschwung der Medizin im frühen 20. Jahrhundert von großem Nutzen gewesen, sowohl sachlich nur zum Teil richtig, als auch vor allem aus (medizin-)ethischer Sicht kritisch zu hinterfragen: „Letztlich konnten die kriegsbedingten Fortschritte in der Medizin immer nur eine unzureichende Antwort auf einen Handlungsund Behandlungsbedarf darstellen, den es ohne den Krieg nicht gegeben hätte“ (S. 58).

Der Katalogteil gliedert sich in die folgenden fünf Bereiche:

  • Mirko Urbatschek: Mit Hurra in die Katastrophe – das Kriegsbild vor 1914 und seine blutige Realität (S. 61-76)
  • Volker Hartmann: Das Leiden an Körper und Seele (S. 77-99)
  • Christine Kofer und Thomas Steck: Der Rettungsweg: Vom Feld zurück in die Heimat (S. 100-121)
  • Johannes Moosdiele-Hitzler: Das Sanitätswesen in Lebensbildern (S. 122-164)
  • Martina Haggenmüller: Bleibende Wunden: Kriegsversehrte in der Kriegsund Nachkriegszeit (S. 165-193).

Unter pflegehistorischen Gesichtspunkten kommt dabei insbesondere den beiden Abschnitten „Der Rettungsweg: Vom Feld zurück in die Heimat“ und „Das Sanitätswesen in Lebensbildern“ große Bedeutung zu. Beginnend mit der durch „Krankenträger“ oft unter schwierigsten und gefährlichen Umständen durchgeführten Bergung vom Schlachtfeld über die Erstbehandlung bis zum Abtransport in frontnahe Behandlungseinrichtungen sowie dem Rücktransport in die Heimat werden dort der Weg der Verwundeten dezidiert nachgezeichnet und tiefe Einblicke in „die freiwillige Krankenpflege“ der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul aus Bayern während des Ersten Weltkriegs in der Kriegsverwundetenpflege (sowohl im Etappendienst und im Lazarettzug als auch in die „Soldatenpflege“ in der Heimat) gewährt. Zugleich wird an sechs ausgewählten Lebensbildern und Personengruppen – Ärzte, Seelsorgern, Schwestern, adlige Damen und militärisches Pflegepersonal, die repräsentativ für die verschiedenen im Sanitätswesen tätigen Personengruppen stehen – gezeigt, wie Verwundete und das Sanitätspersonal das Leiden an Körper und Seele empfanden, wo sie einander begegneten, woher sie kamen und wie es nach dem Krieg mit ihnen weiterging.

Mit ihrer sehr ansprechend gestalteten Ausstellung und dem gleichnamigen, mit Schwarzweißund Farbabbildungen reichlich illustrierten Katalog „Getroffen – Gerettet – Gezeichnet. Sanitätswesen im Ersten Weltkrieg“ haben das Bayerische Hauptstaatsarchiv und die Sanitätsakademie der Bundeswehr ein wichtiges Thema aufgegriffen. Für die Geschichte der Krankenpflege kommt ihm eine umso größere Bedeutung zu, als die vorliegenden Arbeiten zur Kriegskrankenpflege im Ersten Weltkrieg in der deutschsprachigen Forschungsliteratur nach wie vor gut zu überblicken sind, wobei hier insbesondere die 2013 von Astrid Stölzle veröffentlichte Dissertation „Kriegskrankenpflege im Ersten Weltkrieg. Das Pflegepersonal der freiwilligen Krankenpflege in den Etappen des Deutschen Kaiserreichs“ (vgl. die Rezension des Verfassers in: Geschichte der Pflege. Das Journal für historische Forschung der Pflegeund Gesundheitsberufe, 3. Jg., Heft 2-2014, S. 56-58) genannt werden muss. Wer sich einen Überblick über das Sanitätswesen im Ersten Weltkrieg verschaffen oder das Thema Kriegskrankenpflege im Ersten Weltkrieg im Unterricht aufgreifen und bearbeiten möchte, dem kann der vorliegende Katalog wertvolle Dienste leisten. Insofern ist der sehr gelungenen Veröffentlichung zu wünschen, dass sie auch weit außerhalb der Grenzen von Bayern wahrgenommen und vor allem von den Lehrenden im Gesundheitswesen genutzt wird.

Eine Rezension von Dr. Hubert Kolling