Die Alice-Vereine im Großherzogtum Hessen-Darmstadt (1867-1918)

Die Alice Vereine im Großherzogtum Hessen Darmstadt 1867 1918Agnes Schmidt (Hrsg.)
Die Alice-Vereine im Großherzogtum Hessen-Darmstadt (1867-1918)
Festschrift anlässlich der Gründung der Alice-Frauenvereine in Darmstadt vor 150 Jahren (1867)

Selbstverlag, Luise-Büchner-Bibliothek des Deutschen Frauenrings e.V. & Luise Büchner-Gesellschaft e.V., Darmstadt 2017, 112 Seiten, broschiert, 12,00 Euro. ISBN: 978-3-00-057876-2

Spätestens seit Anfang des 19. Jahrhunderts setzten sich fortschrittliche Frauen und Männer dafür ein, Frauen auch zu qualifizierten Berufen zuzulassen. Ihre Bestrebungen, Vereine für diese Ziele zu gründen, wurden jedoch durch konservative Kräfte zunächst verhindert. So entstanden erst in der zweiten Jahrhunderthälfte in vielen deutschen Städten regionale und überregionale Frauenverbände, die eine bessere Allgemeinbildung und berufliche Qualifikation von Frauen zwecks Erwerbstätigkeit verfolgten. Die ersten dieser Vereine standen häufig unter dem Protektorat liberaler Landesfürsteninnen, so beispielsweise in Baden 1859 von Großherzogin Luise (1838-1923) oder im Großherzogtum Hessen-Darmstadt 1867 von Großherzogin Alice von Hessen und bei Rhein (1843-1878). Erst Jahrzehnte später trat mit Georg von Sachsen-Meiningen (1826-1914) hier auch ein Mann eines Herrscherhauses als Initiator einer entsprechenden Vereinigung in Erscheinung.

Aus dem von Großherzogin Alice mit Luise Büchner (1821-1877), der Schwester des bekannten Dramatikers und radikalen Politikers Georg Büchner (1813-1837), gegründeten gemeinnützigen „Alice-Verein für Frauenbildung und -erwerb“ sollten eine Reihe von Frauenbildungsanstalten hervorgehen. Angeregt durch Vorbilder wie Florence Nightingale (1820-1910) wurde als erster Verein 1867 der „Alice-Verein zur Ausbildung von Krankenpflegerinnen“ ohne konfessionelle Bindung ins Leben gerufen, der Vorläufereinrichtung der heutigen Alice-Schwesternschaft vom Roten Kreuz e.V. mit Sitz in Darmstadt. Im Protokoll der Generalversammlung vom Jahre 1869 werden die Ziele des Alicevereins für Krankenpflege wie folgt beschrieben: „Hebung des Berufs der weltlichen Krankenpflege auf eine den Anforderungen der ärztlichen Wissenschaften entsprechende Stufe, die weitere Verbreitung einer besseren Würdigung und Anerkennung der Krankenpflege und hindurch die Eröffnung eines neuen Feldes der weiblichen Erwerbstätigkeit.“

Dieser Verein rechnete es sich als sein großer Verdienst an, dass er bereits im deutsch-französischen Krieg (1870/71) Krankenpflegerinnen für die Lazarettpflege entsenden konnte. In den folgenden Jahren entstand im Großherzogtum Hessen nach dem Muster der Darmst dter Vereine ein dichtes Netz entsprechender Lokalbeziehungsweise Zweigvereinen.

Anlässlich der Gründung der Alice-Frauenvereine in Darmstadt vor 150 Jahren (1867) hat Agnes Schmidt 2017 die vorliegende Festschrift herausgegeben, deren Druck von der Jubiläumsstiftung der Sparkasse, der HEAG Kulturfreunde und der Volksbank Darmstadt unterstützt wurde. Nach der Einleitung (S. 6-11) der Herausgeberin vereint die Veröffentlichung, die durchgängig mit einer Reihe von Abbildungen – sowohl zeitgenössische Fotoaufnahmen als auch Dokumente – illustriert ist, insgesamt fünf Beiträge, die durch eine „Chronik“ (S. 98-109) mit den wichtigsten historischen Daten und Ereignissen sowie eine „Liste der Zweigvereine“ (S. 110-112) ergänzt werden.

Zunächst stellt Cordelia Scharpf (Berlin) unter der Überschrift „Die Alice-Vereine in Darmstadt“ (S. 12-41) ausführlich die Geschichte und Organisation des „Alice-Frauenvereins für Krankenpflege im Großherzogtum Hessen-Darmstadt“ (S. 12-27) und des „Alice-Vereins für Frauenbildung und -erwerb und seine Gründungen“ (S. 28-41) vor. Wie sie hierbei zeigt, verstand sich der zuerst genannte, neue landesweite Verein als Ergänzung zu den kirchlichen Krankenpflegeeinrichtungen und nicht als deren Konkurrenz, denn der Österreichisch-Preußische Krieg (1866) hatte den Bedarf an fachkompetenten, nicht an Kirchen gebundenem Pflegepersonal erkennen lassen. In den Statuten des Vereins war eine enge Zusammenarbeit sowohl von Frauen und Männern in den Vorständen der Vereine als auch die der Frauenvereine mit dem Hülfsverein festgelegt worden. Vor dem Hintergrund der für Frauen ungünstigen bildungs- und berufsbildenden Voraussetzungen und ihrer daraus resultierenden Unerfahrenheit in Berufen und in der Öffentlichkeit sollten nach Darstellung der Autorin fachkompetente und beruflich erfahrene Männer ihre Kenntnisse und Fähigkeiten den Frauen des Alice-Frauenvereins in Bereichen der Geschäftsführung, juristischen Angelegenheiten und bei der praktischen Arbeit zur Verfügung stellen, solange Frauen in den Deutschen Staaten und später im Wilhelminischen Reich der Weg zur gleichwertigen und akademischen Bildung verschlossen war. Nachdem der Berliner Vaterländische Frauenverein 1871 Prinzessin Alice den Beitritt des Alice-Frauenvereins zu einem gesamtdeutschen Verband von krankenpflegerischen Vereinen nahegelegt hatte, sei der Hessen-Darmstädtische Verband formell dem Verband Deutscher Frauen-Hülfs- und Pflege-Vereine unter dem Roten Kreuz am 12. März 1872 beigetreten. Zugleich habe der Alice-Frauenverein für Krankenpflege seine Aufgaben auf die Waisen- und Armenbetreuung und den weiteren Ausbau der wissenschaftlichen Ausbildung des Krankenpflegepersonals erweitert. 1872 sei ein Mutterhaus, 1873 eine Krankenpflegerinnenschule und 1883 das Alice-Hospital mit einer größeren Krankenpflegerinnenschule eröffnet worden. Aufgrund ihrer Untersuchung beider Vereine hält Cordelia Scharpf zusammenfassend fest: „Noch heute – 150 Jahre nach Gründung der Alice-Vereine in Darmstadt – werden durch die Nachfolgeeinrichtungen die Erinnerungen an das Wirken der einstigen Großherzogin und ihrer Mistreiterinnen und Mitstreiter wach gehalten, die standes-, geschlechts- und konfessionsübergreifend Frauen zum ersten Mal und fortwährend Hilfe zum selbstbestimmten Leben boten“ (S. 39).

Wie Dagmar Klein (Gießen) in ihrem Beitrag „Die Alice-Vereine in Gießen“ (S. 42-57) zeigt, gab es auch in der Universitätsstadt Gießen, wie in Darmstadt, zwei Alice-Vereine, wobei der Alice-Verein für Frauenbildung und -erwerb, nach 1900 Alice-Schulverein genannt, gut dokumentiert sei und mit der Alice-Schule eine Kontinuität bis heute bestehe. Demgegenüber sei der Alice-Verein für Krankenpflege nur bruchstückhaft erschlossen, indem hier Kontinuität und Geschichtsschreibung fehlten. Wie die Autorin zeigt, waren die Mitgliederzahlen des Gießener Zweigvereins von 1869 bis 1874 überproportional – von 197 auf 305 – gestiegen. Umso erstaunlicher sei daher, dass das Protokoll der Generalversammlung für Jahresende 1885 – ohne hierfür Gründe zu benennen – die Auflösung des Gießener Alice-Frauenvereins für Krankenpflege vermerke. Im Jahre 1900 sei der Alice-Krankenpflegeverein in Gießen dann wiedergegründet worden, nachdem er „seit längerem eingegangen“ war. Nachdem in der NS-Zeit viele Vereine, so auch die Alice-Vereine, aufgelöst worden waren, sei in Gießen nach dem Zweiten Weltkrieg keine Neugründung mehr erfolgt. An das wohltätige Wirken von Großherzogin Alice von Hessen erinnere in Gießen heute lediglich noch der Name der Alicestraße.

In ihrem Beitrag „Der Alice-Frauenverein für Krankenpflege in Mainz“ (S. 58-69) zeichnet Eva Weickart (Mainz) die Entwicklung in der größten Stadt des Großherzogtums Hessen-Darmstadt nach, wo die entsprechende Vereinsgründung am 8. März 1870 stattfand. Ein Grund für die „relativ späte Gründung des Mainzer Zweigvereins“ liegt nach Ansicht der Autorin darin, dass die Pflege Kranker und Armer hier eine Domäne katholischer Ordensschwestern und das Bedürfnis nach Aufbau einer professionellen weltlichen Krankenpflegeorganisation in Mainz weniger stark ausgeprägt war. Bevor sie über ein eigenes Heim verfügten, lebten die hauptberuflichen Schwestern der Mainzer Alice-Schwesternschaft bis 1893 über die Stadt verstreut in Privatwohnungen; 1894 erhielten sie eine einheitliche und zweckmäßige Tracht. Wie die Darstellung zeigt, bestand der Mainzer Alice-Frauenverein für Krankenpflege, der 1897 mit dem Kreisverband vom Roten Kreuz den Bau eines gemeinsamen Krankenhauses beschlossen hatte, bis 1938, bevor er in der NS-Zeit dem Amt für Schwesternschaften im Präsidium vom Deutschen Roten Kreuz unterstellt wurde.

Unter der Überschrift „Hier gilt es mitzuarbeiten“ stellt Christina Uslurar-Thiele (Darmstadt) den „Offenbacher Zweigverein des Alice-Frauenvereins für Krankenpflege“ (S. 70-85) vor, der im Jahre 1869 gegründet wurde. Wie sie hierbei unter anderem zeigt, musste der Alice-Frauenverein in den Anfangsjahren seines Bestehens immer wieder öffentlich klarstellen – anders als von katholischer Seite behauptet – ohne konfessionelle oder evangelische Ausrichtung zu sein und dass die professionell ausgebildeten Pflegerinnen keinem Orden angehörten sowie jederzeit ihre Anstellung beim Alice-Frauenverein aufgeben konnten, etwa wegen Heirat. Zum Ende des Vereins in der NS-Zeit hält die Autorin wörtlich fest: „Schienen die neuen Machthaber den Alice-Frauenvereinen anfangs noch wohlgesonnen – denn Pflegeberufe entsprachen dem von ihnen propagierten Frauenbild – nötigte man doch nach wenigen Jahren im Zuge der sogenannten Gleichschaltung die selbstorganisierten Frauenvereine zur Auflösung und forderte sie auf, sich in große, von der NSDAP überwachte Organisationen einzugliedern“ (S. 83).

In ihrem Beitrag „Die Alice-Frauenvereine in Worms“ (S. 86-97) macht Margita Köhler-Eichberger (Worms) darauf aufmerksam, dass es dort sowohl einen „Alice-Frauenverein für Krankenpflege“ als auch einen „Alice-Verein für Frauenbildung und Erwerb“, der die „Alice-Industrie-Schule“ betrieb, gab. Einen Monat vor Beginn des Deutsch-Französischen Krieges am 11. Juni 1870 gegründet, engagierten sich die Mitglieder des „Alice-Frauenvereins für Krankenpflege“ sogleich in Lazarettpflege. Nach Darstellung der Autorin liegen über die Arbeit des Vereins nach dem Krieg bis zum Ersten Weltkrieg keine weiteren Informationen.

Die anlässlich der Gründung der Alice-Frauenvereine in Darmstadt vor 150 Jahren herausgegebene Festschrift kann sich sehn lassen. Wer sich für die Gründung, Ausbreitung und Arbeit dieser Vereine interessiert, findet hier eine Vielzahl grundlegender Informationen. Im Hinblick auf die Geschichte der Krankenpflege verdient die Veröffentlichung insofern besondere Beachtung, indem sie intensiv nicht nur die „Alice-Frauenvereine für Krankenpflege“ beleuchtet, sondern hierzu auch eine Fülle wichtiger Quellen erschlossen hat.

Eine Rezension von Dr. Hubert Kolling