Höppner H. und R. Richter (Hrsg.): Theorie und Modelle der Physiotherapie

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Höppner H. und R. Richter (Hrsg.)
Theorie und Modelle der Physiotherapie
Ein Handbuch
Verlag Hogrefe, Bern, 2018, 256 S., € 39,95, ISBN 978-3-456-85814-2 (auch als E-Book erhältlich)

Die deutsche Physiotherapie befindet sich auf dem Weg zur Akademisierung. Gleichzeitig muss sie den neuen Anforderungen (u.a. Anpassung der Versorgungsbedarfe an veränderte demographische, epidemiologische und kulturelle Situation der Bevölkerung, Digitalisierung des Gesundheitssystems, Veränderung der Arbeitsgestaltung) fachkompetent begegnen und sich als wichtiger Akteur in der Gesundheitsversorgung behaupten. Um die Etablierung der Physiotherapie als eigene Disziplin und die Weiterentwicklung des beruflichen Selbstverständnisses stärker voranzutreiben, muss sich die Physiotherapie gegenüber anderen Disziplinen deutlicher definieren und abgrenzen. Hierfür bedarf es einer intensiveren Auseinandersetzung mit den theoretischen Grundlagen, auf denen physiotherapeutisches Handeln und Denken basiert. Diese Notwendigkeit veranlasste Prof. Dr. Heidi Höppner und Prof. Dr. Robert Richter, zusammen mit acht Wissenschaftler/innen, alle Physiotherapeuten/-innen und Pioniere der Akademisierung, sich über einen Zeitraum von 12 Monaten intensiv mit ausgewählten nationalen und internationalen Theorien und Modellen physiotherapeutischen Handelns auseinanderzusetzen. Gemeinsam mit Beträgen von weiteren nationalen und internationalen Wissenschaftlern/-innen entstand das vorliegende Handbuch.

Heidi Höppner, M.P.H. ist Physiotherapeutin, Sozial- und Gesundheitswissenschaftlerin und in Politikwissenschaften promoviert. Als Professorin für Physiotherapie, mit dem Schwerpunkt Gesundheitsförderung und Teilhabe wirkt sie an der Alice Salomon Hochschule in Berlin. Robert Richter ist Physiotherapeut und Medizinpädagoge. Als Professor für Bewegungstherapie ist er an der Hochschule Furtwangen tätig.

Das Handbuch ist in 14 Kapitel gegliedert. Jedes dieser Kapitel unterliegt folgender Dreiteilung:
• Beschreibung ausgewählter nationaler und internationaler Theorien und Modelle (Transparenz)
• Vorstellung der Reichweite der Modelle und Theorien: Inwieweit erfolgte eine empirische Prüfung der Modelle, was sind die Stärken und Schwächen? In welchen physiotherapeutischen Handlungsfeldern können diese genutzt werden? (Wirkungsgrad/ Impact)
• Diskussion über den zukünftigen Beitrag des Modells bzw. der Theorie für die Gestaltung der Praxis und Bewältigung gesellschaftlicher Veränderungen im 21. Jahrhundert (Anschlussfähigkeit).

In Kapitel 1 erfolgt eine Einführung in die begriffliche Deutung von Modellen und Theorien als Denkwerkzeuge. In Kapitel 2 und 3 stellen die Autoren die „Movement Continuum Theory of Physical Therapy“ von der kanadischen Arbeitsgruppe um Cheryl Cott et al. vor. Kapitel 4 beleuchtet das in Finnland entstandene Modell „paradigm-orientated approach in physiotherapy“. Kapitel 5 beschreibt das „Mehrdimensionale Belastungs- und Belastbarkeitsmodell“, welches aus den Niederlanden stammt und transferiert Eingang in die Hochschule für Gesundheit Bochum gefunden hat. Kapitel 6 führt das „Modell der menschlichen Bewegung“ aus. In Kapitel 7 wird das „Neue Denkmodell der Physiotherapie“ vorgestellt. Die Kapitel 8 und 9 beinhalten einen Originalbeitrag aus Kanada und Neuseeland über die Konzeption von Körper in der Physiotherapie, welcher von den Autoren kritisch reflektiert wird. Kapitel 10 stellt eine neue Leitversion im Sinne einer „Inklusiven Physiotherapie“ vor. In Kapitel 11 wird die Bedeutung der Ethik für die Physiotherapie im Rahmen des ethischen Modells Homo movemens empirisch herausgearbeitet. Kapitel 12 lenkt den Blick auf den Nutzen der Theorie für die Lehre. Kapitel 13 nimmt die Theorie-Praxis-Beziehung in den Blick und stellt ein Modell für das Handlungsfeld der Physiotherapie vor. In Kapitel 14 widmen die Autoren sich abschließend dem Diskurs zur Bedeutung der Theoriebildung in der Physiotherapie im 21. Jahrhundert, um den Herausforderungen und notwendigen Entwicklungen professionell begegnen zu können.

Das Handbuch ist das erste deutschsprachige Übersichtswerk zu verfügbaren theoretischen Ansätzen und Grundlagen physiotherapeutischen Denkens, die als Fundament für das berufliche Handeln herangezogen werden können. Besonders durch die kluge Dreiteilung der Kapitel gelingt es den Autoren die theoretischen Grundlagen auch in einen praktischen Kontext einzubinden und den (zukünftigen) Nutzen für diesen herauszustellen. Auf diese Weise ist das Werk für Adressaten aus allen Bereichen der Physiotherapie interessant, für Wissenschaftler, Praktiker, Lehrende und Studierende. Physiotherapiewissenschaftlern/-innen hilft dieses Buch bei der theoretischen Verortung ihrer physiotherapeutischen Forschungsfragen. Für Praktiker, die ihre professionelle Rolle und ihr Verständnis für Physiotherapie erweitern möchten, finden in dem Buch interessante Denkanstöße. Für Lehrende bündelt es professionstheoretische Grundlagen und hilft fachdidaktisches Vorgehen zu begründen und zu ordnen. Studierenden bietet das Buch u.a. eine Orientierung in der Auseinandersetzung mit den theoretischen Gegenstandsbereich Physiotherapie und leistet damit einen Beitrag für die Prägung der beruflichen Identität.

Auch für die Politik und andere Berufsgruppen ist dieses Buch lesenswert. Es erlaubt Brückenschläge zwischen Professionen und Disziplinen und zeigt aktuelle sowie zukünftige Potenziale der Physiotherapie zur Bewältigung der neuen Anforderungen in der Gesundheitsversorgung auf.

Das Handbuch ist verständlich geschrieben. Die einzelnen Kapitel unterliegen einer klaren Strukturierung und können auch unabhängig voneinander gelesen werden. Das Buch weißt eine sehr gute Druck- und Bindequalität auf. Das Werk ist mit seinen 256 Seiten seinen Preis wert.

Dieses wissenschaftliche Handbuch ist ein wichtiger Beitrag für die Theoriebildung in der Physiotherapie. Es schließt eine längst überfällige Lücke und unterstützt den Professionalisierungsprozess der Physiotherapie. Sehr empfehlenswert!

Eine Rezension von Kerstin Thümmler